Sexueller Missbrauch von Kindern. Warum schützt die katholische Kirche die Täter?
- 16.11.2018
- Am 25. September 2018 wurde der Abschlussbericht der vor vier Jahren in Auftrag gegebenen MHGStudie bei einer Pressekonferenz im Rahmen der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz vorgestellt. Die Studie wurde von unabhängigen Wissenschaftlern der Universitäten Mannheim, Heidelberg und Gießen durchgeführt. Die Auswertung von 38.156 diözesanen Personal und Handakten ergab, dass zwischen 1946 und 2014 insgesamt 3.677 Kinder und Jugendliche zu Opfern sexuellen Missbrauchs durch Kleriker – Bischöfe, Priester und Diakone – geworden sind. Die meisten Opfer waren Messdiener und Schüler im Religionsunterricht, in der Erstkommunion oder Firmvorbereitung. Ihnen wurde seelische und körperliche Gewalt von Männern der Kirche angetan, die im Dienst des Evangeliums der Liebe und Barmherzigkeit Gottes stehen. Das ist ein Skandal, das ist erschütternd, das ist vor dem Recht ein Verbrechen und in religiöser Hinsicht Sünde, das heißt tiefstes Vergehen gegen den Auftrag an den Menschen, als „Bild“ Gottes (Gen 1,27) Verantwortung für diese Schöpfung zu übernehmen und im Dienst des Lebens zu stehen. Die Öffentlichkeit skandalisiert der Umgang mit sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche. Vorfälle wurden vertuscht, Priester versetzt, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden, Opfer mussten schweigen. Erschütternd ist das globale Ausmaß des sexuellen Missbrauchs. Aktuelle Berichte liegen auch aus Australien, Irland und Chile vor. Überhaupt noch nicht aufgearbeitet ist der Missbrauch an Frauen, darunter viele Ordensfrauen in afrikanischen Ländern. Die MHGStudie weist darauf hin, dass die zentrale Ursache für sexuellen, physischen und emotionalen Missbrauch durch Kleriker der Machtmissbrauch ist. Ein Kleriker, der keine reifen Beziehungen eingehen und als zölibatär lebender Mensch mit der eigenen Sexualität nicht konstruktiv umgehen kann, kann Gefahr laufen, die Machtfülle, die er qua Amt hat, zu missbrauchen. Wenn Täter geschützt worden sind, dann hat dies mit einem hierarchischautoritären System und einem Klerikalismus zu tun, so die Studie, die dazu führen können, „nicht geweihte Personen in Interaktion zu dominieren, weil er [das heißt der Kleriker, m.E.] qua Amt und Weihe eine übergeordnete Position innehat“. Darum steht eine tiefgreifende Strukturreform der Kirche an: eine Auseinandersetzung mit Macht und Autorität, mit der verpflichtenden Verbindung von Zölibat und Weihe, mit der Frage nach Frauen in kirchlichen Ämtern wie es im Dezember 2017 bei einem Kongress an der Universität Osnabrück getan wurde. Die katholische Theologie hat sich seit den 1970er Jahren intensiv mit diesen Fragen aus einandergesetzt. Mich erschüttert persönlich, dass Theologinnen und Theologen auch heute noch inkriminiert werden, wenn sie sich in wissenschaftlicher Redlichkeit und aus tiefer Sorge um die Zukunft der Kirche und die Verkündigung des Evangeliums mit den Themen auseinandersetzen, die zu einer tiefgehenden Analyse des Skandals des sexuellen Missbrauchs gehören: Sexualethik, Frauen in kirchlichen Ämtern und Genderfragen. Der Ortsbischof Dr. FranzJosef Bode hatte sich in der Vesper zum 1. Advent 2011 in einem öffentlichen Bußakt im Osnabrücker Dom vor den Opfern sexuellen Missbrauchs verneigt. Die lebendige Erinnerung an Jesus von Nazareth, der an der Seite der Armen und Schwachen das Evangelium des Lebens und der Liebe Gottes verkündet und ihnen so ihre Würde gegeben hat, gibt den Mut, als Theologin allen Widerständen zum Trotz die Stimme zu erheben.