Vergiftet Seelen, sägt an Freundschaften. Was soll der Neid?
- Imke von Maur
- 15.11.2019
- Niedergeschmettert sein angesichts des Glücks anderer? Erbärmlich! – wie Montesquieu meint. Damit ist er nicht alleine: Als eine der sieben Todsünden gilt der Neid, als schandhaftes Laster. Neid ist böse, ja boshaft! Eine abgründige Emotion, ein übler Charakterzug. Auch bei allem Bemühen: Es lässt sich nichts Gutes finden am Neid, an der Unfähigkeit sich über das Glück anderer zu freuen. Denn mehr noch – der Neider leidet am Glück anderer. Unerträglich sind für ihn Wohl, Ruhm und Eigentum seiner Mitmenschen. In Begleitung der Missgunst erscheint der andere für ihn als Bedrohung der eigenen Zufriedenheit. Mehr PS, smartere Phones und schlankere Silhouetten lauern überall. „Warum wird er befördert, nicht ich?“ „Wieso steht dieser heiße Feger auf Sie?“ Leben mit Neid ist egozentrisch, obsessives Konkurrenzdenken der primäre Weltzugang. Ständiger Drang und Druck: „Mehr!“, „Besser!“, „Anders!“. Das Leben als Mangel. In seiner hässlichsten Form gesellen sich Schadenfreude und Gehässigkeit zum Neid. Es reicht nicht, unzufrieden zu sein, dem Anderen soll es gefälligst noch schlechter gehen – auch wenn es dem Neider selbst nichts nützt. Eine zutiefst pathologische Emotion also – narzisstisch, feindselig. Ja, Neid vergiftet Seelen, sägt an Freundschaften und: Er zerstört Gesellschaften. Was soll er also, der Neid? Er ist Bezahlung, Belohnung, Bestätigung des Egos – wenn er von anderen kommt. Der Neid der „Freunde“ auf Facebook und Instagram als Ermöglichung des eigenen Seins oder besser: Scheins. Schöner, beeindruckender, individueller muss er sein, der Look, der Lebenslauf, der Post. Erblassen die anderen vor Neid, hat „man es geschafft“, „ist man wer“. Für einen Augenblick. Dann dürstet es den Beneideten schon wieder nach mehr. So entstehen die schicken Chiasamen-lowcarb-bowl-Bilder, die fancy Kick-off-Meetings für sexy Start-ups, die Sucht in die Metropolen dieser Welt zu jetten, für gephotoshopte Hipsterlookportraits, die Milliarden Selfie-Schmollmünder. Neid auf diese sinnlosen Narrative ist reine Illusion – in jeder Hinsicht. Außer in seinen fatalen Auswirkungen. Diese aber sind ganz wirklich: Eine Nacheiferungsspirale, ein entleerter Kampf um entleerte Leben, dauerndes Lechzen nach Aufmerksamkeit. Was bleibt? Das Gefühl der Minderwertigkeit und der ständige Drang und Druck. Und doch, eine gute Nachricht: Neid ist keine unweigerliche Grundkonstante des Menschseins, kein notwendiges Übel der menschlichen Spezies. Emotionale Dispositionen und Emotionsrepertoires lassen sich kultivieren, sind veränderbar. Niemand muss neidisch sein. Wir können diese Illusion aufgeben, lernen, uns für andere zu freuen. Wirklich zu freuen! Und damit vor allem uns selbst befreien von dieser Leidenschaft, die nichts als Leiden schafft. Aber Obacht im Eifer passionierter Neidkritik! Neider sind nicht die, die zurecht Unrecht anprangern. Absurde Managergehälter sind kein Neidobjekt, sie sind ein erhebliches gesellschaftliches Problem. Zu sagen „Die ist ja nur neidisch!“, heißt: Die Kritikerin ist das Problem, nicht die Sache. Die Kritikerin wird als miese Person diskreditiert, ihre Kritik als Missgunst delegitimiert. Diese perfide Strategie stützt strukturelles Unrecht, diffamiert Opfer und huldigt Tätern. Sie spaltet und stiftet Unfrieden. Eine friedliche, gerechte, plurale und vitale Gesellschaft erwächst nicht aus Neid. Sie überwindet ihn. Sie entsteht durch Menschen, die statt ScheinLeben anzustreben, Wert für sich und andere schaffen – und sich darüber freuen.