Sprache, Bildung, Arbeitsmarkt. Warum ist die Integration für geflüchtete Frauen schwieriger?
- Nevra Akdemir
- 15.11.2019
- Die Frage suggeriert, dass geflüchtete Frauen schlechter integriert seien als Männer. Das lässt sich nicht pauschal sagen, und oft gelten Frauen sogar als die ‚Integrationsmotoren‘ der Familien. Ein Lebensbereich, auf den die Annahme jedoch zutrifft, ist die Erwerbstätigkeit. Die Ausbildungs- und Erwerbstätigenquoten geflüchteter Frauen liegen insgesamt und anteilig deutlich unter der der männlichen Geflüchteten. Warum? Die familiäre Lebenssituation beeinflusst die Chance, erwerbstätig zu werden. Die Erwerbsquote geflüchteter Mütter mit Kindern unter drei Jahren ist mit rund drei Prozent besonders niedrig. Rund drei Viertel der geflüchteten Frauen hat Kinder, im Vergleich zu 20 Prozent der geflüchteten Männer. Dabei ist der Wunsch zu arbeiten – die Erwerbsaspiration – ähnlich hoch wie bei deutschen Frauen. Mit steigender Aufenthaltsdauer steigt die Erwerbstätigkeit, das ist ein ganz normaler Verlauf. Erst nach etwa zwanzig Jahren ist die Erwerbstätigkeit Geflüchteter ähnlich hoch wie bei anderen Zugewanderten. Da viele Frauen in der letzten Fluchtperiode erst später als die Männer kamen, gibt es einige Jahre Zeitverzögerung. Bei einigen können Gründe aber auch in der Praxis der Arbeitsförderung liegen: Wenn der Ehemann erwerbstätig ist und über einem Schwellenwert verdient, entfällt für die Ehefrau – ähnlich wie bei Hartz IV – der Zugang zur Arbeitsförderung. Mütter mit Kleinkindern werden nicht automatisch durch das Jobcenter beraten und gefördert, weil davon ausgegangen wird, dass sie dem Arbeitsmarkt nicht uneingeschränkt zur Verfügung stehen. In unserem Forschungsprojekt berichteten einige Mütter, dass sie richtig kämpfen mussten, um beraten zu werden. Ein Mangel an flexibler Kinderbetreuung sowie schlechte infrastrukturelle Anbindung, besonders in ländlichen Regionen, führen zudem dazu, dass weibliche Geflüchtete in Integrationskursen unterrepräsentiert sind und daher oft länger für den Spracherwerb brauchen. Geflüchtete sind mit vielen Herausforderungen im neuen Land konfrontiert. Was das Leben nach der Asylantragstellung am schwierigsten macht, ist die große Ungewissheit. Dies zeigt sich in den psychischen Folgen von Flucht, die die Ressourcen einer Person begrenzen und die beruflichen Perspektiven einschränken können. Das betrifft insbesondere geflüchtete Frauen. Bei den 45- bis 54-Jährigen ist das Risiko an einer Depression oder Angststörung zu erkranken um 96 Prozent höher als bei Frauen der gleichen Alterskohorte in der Durchschnittsbevölkerung (DIW weekly report, 4-5-6/2019). Auch die Erfahrung, dass das Wissen wie der ‚damalige‘ Alltag organisiert wird, wertlos geworden ist, hat einen großen Einfluss auf das Selbstwertgefühl der Frauen. Bei gut ausgebildeten und qualifizierten Geflüchteten kommt der Verlust des Status und die Dequalifizierung hinzu, also die Unmöglichkeit in der bisherigen Profession zu arbeiten. Integration ist ein gegenseitiger Prozess. Auch die aufnehmende Gesellschaft hat die Verantwortung, das Leben der Geflüchteten zu ‚normalisieren‘. Geflüchtete Frauen brauchen dabei mehr als wohlmeinende Hilfe, um am sozialen und ökonomischen Leben teilzuhaben. Die Sprache ist wichtig, aber das Selbstwertgefühl hängt auch von den politischen, sozialen und ökonomischen Bedingungen ab. Erwerbslosigkeit, Armut, Dequalifizierung und Diskriminierung sind nicht nur das Problem der Geflüchteten, sondern der gesamten Gesellschaft.