Gute Sprache – böse Sprache. Wie manipulieren und verletzen uns Worte?
- 12.11.2021
- Um diese Frage beantworten zu können, ist es hilfreich, sich eingangs zu fragen, was wir eigentlich tun, wenn wir sprechen. Die Antwort lautet: Wir handeln. Eine erste These ist also: Sprechen ist Handeln. Das wird besonders deutlich in extremen Fällen; dann beispielsweise, wenn jemand andere zu gewaltsamen Handlungen aufruft und dabei Erfolg hat. Dass Sprechen eine Art von Handeln ist, erkennen wir in diesem Beispiel an den Folgen, die das Sprechen hat. Die Folgen des Sprechhandelns sind nicht immer so deutlich sichtbar, wie in dem genannten Beispiel. Sie können viel subtiler sein. Das zeigt sich etwa dann, wenn wir in oder mit unserem Sprechen eine Bewertung vornehmen. Und indem man bewertet, nimmt man eine bestimmte Perspektive ein. Man schlägt vor, die Situation oder Person auf eine bestimmte Weise zu betrachten, und in der Folge auch bestimmte Dinge gutzuheißen, andere nicht. Dass das Sprechen ein Handeln ist, zeigt sich auch daran, dass wir stets mehrere Möglichkeiten zur Auswahl haben. Wir können eine bestimmte Handlung – zum Beispiel jemanden begrüßen – nicht nur ausführen oder unterlassen, sondern auch auf verschiedene Weisen ausführen: Wir können jemanden betont freundlich oder betont unfreundlich begrüßen. Ebenso können wir Dinge, Situationen oder Personen auf unterschiedliche Weisen beschreiben – und damit eben auch bewerten. Die Sprache stellt uns verschiedene Beschreibungsmöglichkeiten zur Verfügung. Verwendet man in einem Gespräch zum Beispiel einen abwertenden Ausdruck für eine Person anstatt all der anderen Ausdrücke, die man hätte verwenden können – man nennt sie etwa eine Schlampe, hätte sie aber eben auch einfach eine Frau nennen können – so nimmt man damit einen Standpunkt ein, schlägt vor, die Person auf diese Weise zu betrachten. Und man macht dabei auch immer etwas mit seiner Zuhörerschaft. Im besseren Fall lädt man sie ein, die Dinge aus derselben Perspektive zu betrachten. Im schlechteren Fall zwingt man ihnen die eigene Perspektive auf. Daraus ergibt sich als eine zweite These: Das Problem liegt nicht auf der Ebene der Sprache an sich, sondern der Art und Weise, in der man sich ihrer als Mittel bedienen kann. Sprache oder Wörter sind nicht an sich böse, sondern werden von Menschen als Mittel zu bösen Zwecken benutzt. Aus diesem Grund hilft es auch selten, „böse Wörter“ zu verbieten, da damit ihre Umwertung ins „Böse“ eher bekräftigt wird. Vielversprechender ist es, das Wort umzuwerten oder eine alternative Beschreibungsweise anzubieten. Das aber ist alles andere als einfach. Man sollte erstens den Mut haben, eine andere Beschreibungsweise vorzuschlagen. Dafür ist es, zweitens, hilfreich, in einer geeigneten Position sein: Für den Lehrer ist es leichter, einen Schüler als faul zu beschreiben, als für einen Schüler, den Lehrer als faul zu beschreiben. Hinzu kommt, drittens, dass man eine alternative Beschreibungsweise überhaupt zur Verfügung haben und die dafür notwendigen sprachlichen Mittel besitzen muss. Und selbst das reicht noch nicht hin. Die vierte Voraussetzung besteht darin, sich auch Gehör verschaffen zu können. Kurzum: Man muss sich die geeigneten sprachlichen Mittel erarbeiten und auf geeignete Weise einsetzen. Denn wir leben in einer immer schon – von anderen – gedeuteten Welt.