Philosophie des Geistes. Was ist das Ich?
- 12.11.2021
- Schöne Grüße von meinem Ich und meinem Gehirn. Die beiden haben heute Besseres vor. Mein Ich hängt seinen Gedanken nach und mein Gehirn hat freitags um drei Schluss; es sagt, die vier Minuten müsse es auch mal ohne gehen. Nehmen Sie also mit mir vorlieb. Es ist schon ganz schön knifflig, sich einen Reim darauf zu machen, wie der gräulich-beige Wackelpudding zwischen unseren Ohren für all das verantwortlich sein kann, was uns ausmacht. Wenn dann noch die verbalen Pferde mit einem durchgehen, wird es, pardon, gruselig: Was ist mein Ich? Ist es mein Gehirn oder nur eine Illusion meines Gehirns? Lassen wir die Kirche im Dorf! Mein Gehirn ist mitkonstitutiv für mich als Person – ich bin, was ich bin, u.a. deshalb, weil in ihm bestimmte physikochemische Prozesse ablaufen. Deswegen kann ich mich von meinem Gehirn nicht trennen wie von meiner Frau oder einer Niere. Aber das heißt nicht, dass ich mein Gehirn bin. Nicht, weil ich eine immaterielle Seele wäre, sondern schlicht, weil ich den Müll rausbringen und diese Worte schreiben kann, mein Gehirn aber nicht. Und selbst wenn das, was mich ausmacht, ‚nichts weiter‘ wäre als Gehirnprozesse, wäre ich deswegen kein ohnmächtiges Hirngespinst – Wasser macht nicht weniger nass, nur weil es ‚nichts weiter‘ ist als H2O. Noch haarsträubender ist die Frage nach meinem Ich. Der Philosoph Richard David Precht verkündete im Spiegel Wissen (2009, 1) völlig schambefreit, das Ich sei das, „was mich am Morgen begrüßt, was sich unausgesetzt mit mir selbst unterhält“. Der Neurowissenschaftler Gerhard Roth fügte hinzu, es handle sich „beim Ich um eine Instanz, die meint, sie sei […] Herrin im Hause“, aber nur Ratschläge geben darf, schließlich „entscheiden das Vorbewusste und das Unbewusste“. Auf Sigmund Freuds Couch hieß so etwas freies Assoziieren. Aus mir ganz ohne Not und noch weniger Grund ein Ich zu machen, ist Unfug – ein Kapitalverbrechen. Hat man das Ich erst einmal mittels Großbuchstabe zur eigenständigen Instanz geadelt, macht es nichts als Ärger. Ich bin hier, aber wo ist mein Ich? Im Gehirn augenscheinlich nicht, da sind nur Neurone und sonstiger Glibber. Und schwuppdiwupp müssen wir uns ausmalen, wie mein Ich mit meinem Vor– und Unbewussten ausficht, wer und was ich bin und tue – oder eben einräumen, dass es eine Illusion ist. Aber so einfach ist es nicht. Es ist viel einfacher: Ich bin ein komplexes physikochemisches System, das – unter anderem. aufgrund seines Gehirns – auf eine charakteristische Art und Weise will, glaubt, hofft, erlebt, fühlt, fürchtet und so weiter, sich entsprechend verhält und all diese Fäden seines (bewussten) Daseins in einer einzigen großen (Lebens-)geschichte narrativ ausschmückt und es dabei mit den Details nicht immer so genau nimmt. Dafür braucht es kein Ich, nur mich. Es ist verständlich, löblich gar, dass wir fragen, wer und was wir sind. Aber sobald jemand nicht nur Sie, sondern zudem auch noch Ihr Ich und Ihr Gehirn zur eigenständigen Instanz macht, die will, denkt, wahrnimmt, entscheidet und so weiter denken Sie fortan bitte an Sergio Leones Spaghettiwestern-Klassiker Spiel mir das Lied vom Tod. Dort wird es gleich zu Beginn philosophisch. Charles Bronson, der Namenlose, wird von drei zwielichtigen Revolverhelden am Bahnhof abgeholt, die nur drei Pferde dabei haben. Als er den Anführer fragt, wo seines ist, antwortet dieser höhnisch: „Sieht so aus, als hätten wir ein Pferd zu wenig.“ Der Namenlose wird misstrauisch, schießt die drei Männer nieder und bemerkt lapidar: „Ihr habt zwei zu viel.“