Hirnforschung. Wie können wir im Schlaf Aufgaben lösen?
- Katharina Lüth
- 12.11.2021
- Für das Lösen von Problemen und das Lernen hat der Schlaf eine wichtige Funktion. Wenn wir eine Nacht nicht schlafen, sind wir am nächsten Tag in vielen Fähigkeiten extrem eingeschränkt. Wir können weniger logisch denken, treffen schlechtere Entscheidungen, sind unfähig, unsere Emotionen zu regulieren, wir reagieren gestresster. Eine Erklärung dafür ist unsere Gedächtnisleistung im Schlaf. Dabei werden Gedächtnisinhalte nicht nur erneut abgespielt und verfestigt, sondern auch umstrukturiert und auf andere Weise miteinander verknüpft. Das kann bedeuten, dass wir morgens Einsichten haben, die wir ohne den Schlaf nicht hätten. Eine Studie zeigte, dass Menschen nach dem Schlaf besser darin sind, eine versteckte Regel in einer mathematischen Zahlenreihe zu erkennen. 20 Prozent der Personen fanden diese versteckte Regel beim ersten Bearbeiten der Matheaufgabe. Eine weitere Gruppe bearbeite die Aufgabe zweimal, mit einem Abstand von acht Stunden, einmal vor und einmal nach dem Schlaf. Morgens fanden nun 60 Prozent die versteckte Regel, was nicht an der verstrichenen Zeit lag. Es lag am Schlaf: Aus einer weiteren Gruppe, die die Aufgabe ebenfalls zweimal mit acht Stunden Abstand bearbeitete, aber ohne dazwischen zu schlafen, einmal morgens und einmal abends, fanden nur 20 Prozent die versteckte Regel. Gedächtnisprozesse im Schlaf können also dazu anregen, nach neuen Lösungen zu suchen. Wie das funktioniert, wurde kürzlich an Ratten gezeigt: Die Tiere bewegten sich im Wachzustand durch ein Labyrinth, um Futter zu erhalten. Während des Schlafes werden die gegangenen Wege von den Nervenzellen der Tiere erneut abgespielt. Im Hippocampus, einer auch bei Menschen an der Gedächtniskonsolidierung beteiligten Hirnstruktur, gibt es Zellen, die bestimmte Orte auf einer mentalen Karte repräsentieren. Diese Ortszellen sind im Schlaf erneut aktiv – in der Reihenfolge der tagsüber besuchten Orte im Labyrinth. Die Zellen feuerten aber auch in einer Reihenfolge, die einen Weg widerspiegelte, den die Ratten im Wachzustand nie gegangen waren. Während des Schlafs werden also neue, im Wachleben nicht durchdachte Möglichkeiten exploriert. Wer bewusst erleben möchte, wie während des Schlafes Erinnerungen durchgespielt werden und entstehen, kann das Klarträumen erlernen, das heißt sich während des Traums bewusst darüber zu sein, dass man gerade träumt. In diesem Zustand ähnelt die Gehirnaktivität in einigen Gehirnarealen dem Wachzustand. Das kann erklären, warum das Trainieren von zum Beispiel Bewegungsabläufen im Klartraum zu einer tatsächlichen Verbesserung der im Traum geübten motorischen Fähigkeiten im Wachleben führt. Klarträume können auch dazu nützlich sein, sich gezielt mit Problemen zu beschäftigen und neue Perspektiven zu erlangen. Träume sind sehr kreativ, assoziativ und bizarr und bringen uns daher auf Verknüpfungen, auf die wir im Wachleben nicht kommen. Und genau diese Verknüpfungen sind vielleicht gut geeignet, um „um die Ecke“ zu denken, neue kreative Werke zu schaffen oder Probleme zu lösen. Auch ohne Klarträume, ganz ohne dass wir es bemerken, arbeitet unser Gehirn im Schlaf. Es sortiert, versteht und verstärkt Gedächtnisinhalte und kümmert sich sogar besonders intensiv um solche, die für uns in der Zukunft besonders relevant sind. Entscheidungen spät abends zu treffen, ist daher laut der Wissenschaft eine extrem schlechte Idee – und den Schlaf für sich arbeiten zu lassen die bessere Option.