Wie groß ist die Gefahr von Glaubenskriegen?
- Reinhold Mokrosch
- 07.11.2008
- Reine Glaubenskriege gab und gibt es kaum. Aber die Gefahr religiös aufgeladener (Terror-) Kriege ist groß. Ich möchte das begründen: Glaubenskriege sind selten Glaubenskriege gewesen. Alle sogenannten Religionskriege zwischen Römern und Christen im Römischen Reich, zwischen Imperium und Sacerdotium im Hochmittelalter und zwischen Katholiken und Protestanten in Reformation, 30-jährigem Krieg und in Nord-Irland sind politische Machtkriege mit religiöser "Aufladung" gewesen. So war es auch in den Kriegen bis zum 11. September 2001. Sie gaben sich religiös, waren es aber nicht. In den Golf-, Jugoslawien- und anderen Kriegen tönte die Propaganda zwar rein religiös, wenn sie zum "Heiligen Krieg", "Kreuzzug" oder "Endzeitlichen Sieg" aufrief und den Gegner als "Achse des Bösen", "Reich der Finsternis" oder "Imperium des Teufels" diffamierte; aber letztlich ging es nicht um religiöse, sondern um ökonomische, territoriale und politische Machtinteressen. - Insofern bestand und besteht die Gefahr religiös aufgeladener Kriege weiterhin. Seit dem 11. September 2001 ist aber eine Wende eingetreten. Kriege haben seitdem einen anderen Charakter erhalten. National- und Großmacht-Kriege gibt es nicht mehr. Der Kalte Krieg mit seinen Welt-Ideologien ist endgültig vorbei. Dafür wüten aber in der globalisierten und zugleich atomisierten Welt regional begrenzter Terror und Gegenterror. Es sind, wie Huntington schon 1993 zu Recht feststellte, Zivilisations- und Kulturkonflikte. Glaube und Religion spielen dabei wieder eine wichtige, wenn auch nicht die einzige Rolle. Besteht also die Gefahr, dass sie zu reinen und nicht nur zu instrumentalisierten Glaubenskriegen ausarten? Zum Teil ja! Manchen Muslimen, Juden und Hindus geht es wirklich vorrangig um Glauben; sie verstehen sich als Märtyrer und Glaubenskrieger. Westlichen Bürgern und (US-) Politikern dagegen geht es allein um Machterhalt, zu dem sie Religion instrumentalisierend verwenden. Insofern geht es einer Minderheit wirklich um Glaubenskriege. Die Mehrheit aber instrumentalisiert weiterhin Glaube und Religion für ihre Machtinteressen. Können wir dieser Gefahr im 21. Jahrhundert vorbeugen? Hans Küngs Appell an ein Welt-Ethos ist meines Erachtens der richtige Weg, wenngleich ich seine Vision einer "postkonfessionellen Kosmopolis" für irreal halte. Bildung mit Friedenserziehung und interzivilisatorischem bzw. interreligiösem Lernen können einen großen Beitrag leisten. Und die zahlreichen Friedensstifter in allen Religionen können und müssen die kleine Minderheit gewaltbereiter Glaubensbrüder einbinden. Aber entscheidend ist eine neue Weltwirtschaftspolitik bei gleichzeitiger nuklearer Abrüstung. Dann könnten Glaubenskriege und evtl. auch religiös instrumentalisierte Kriege eingedämmt werden.