Zuwanderung in Deutschland: Bereicherung oder Bedrohung?
- 13.11.2009
- Auch ohne in multikulturelle Schwärmereien zu verfallen, kann man sich für Mesut Özil begeistern. Für das fußballerische Talent des Bremer Profis, für seinen Siegeswillen, für seine beeindruckende Karriere, die ihn zum neuen Hoffnungsträger der deutschen Nationalmannschaft macht. Bundestrainer Joachim Löw sprach davon, dass sein Team mit Özil »viel kreativer« geworden sei. Vor einem Monat ebnete der türkischstämmige Nationalspieler den Weg zur Fußball-WM 2010 in Südafrika, indem er das Tor des polnischstämmigen Miroslav Klose zum 1:0-Endstand gegen Russland vorbereitete. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde vielen Zuschauern klar, wie sehr der deutsche Fußball von Spielern mit Migrationshintergrund profitiert. Vergleichbare Erfolgsgeschichten lassen sich auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen beobachten. Die Filme des Hamburger Regisseurs Fatih Akin sind national und international vielfach ausgezeichnet und als Beleg für die Qualität des deutschen Films gefeiert worden. Die Wirtschaft beleben Migranten nicht nur als Arbeitskräfte und Konsumenten, sondern auch als international agierende Unternehmer. Und auch die Politik ist ohne Volksvertreter mit Migrationserfahrungen kaum mehr denkbar: Im neuen Bundestag gibt es immerhin 22 von 622 Abgeordneten und sogar einen Bundesminister mit Migrationshintergrund – aus Niedersachsen. Bekannter und massenmedial stark dramatisiert sind sicherlich die als Integrationsprobleme thematisierten Folgen von Zuwanderungsprozessen. Folgen, die nicht nur für Migranten, sondern auch für die ansässige, nicht-migrierte Bevölkerung sowie für Organisationen wie Stadtverwaltungen, Krankenhäuser oder Schulen besondere Herausforderungen darstellen. Aber Bedrohung? Kann eine Gesellschaft bedroht sein, deren Entwicklung und Innovationskraft eng mit internationaler Migration und ihren Potentialen verknüpft ist, die die Mitteilung, dass Migranten ein Fünftel ihrer Bevölkerung ausmachen, wohl nur deshalb überrascht, weil die alltäglichen Integrations- und Einbürgerungsprozesse weitgehend geräuschlos verlaufen? Mit Begriffen wie Bereicherung oder Bedrohung hält sich die Wissenschaft üblicherweise zurück. Statt Migration und ihre Folgen zu bewerten, hält sie sich an die Analyse. So belegt die Migrationsforschung unter anderem die gesellschaftliche Normalität von Ein- wie Auswanderungsprozessen. Untersucht werden auch Formen und Bedeutungen der räumlichen Konzentration von Migranten. Dabei wird deutlich, dass Städte und Stadtteile in Deutschland multiethnisch geworden sind. Es sind gerade keine ghettoähnlichen Strukturen entstanden, die die Rede von Parallelgesellschaften rechtfertigen würden. Die aufsteigenden Kinder der Migranten beerben erfolgreich das Mobilitätspotential ihrer Eltern. Umgekehrt kann die Migrationsforschung zeigen, dass viele Potentiale und Qualifikationen, die Migranten mitbringen, nicht oder nur wenig genutzt werden. Nicht erst seit dem PISA-Schock weist die Migrationsforschung darauf hin, dass die Selektionsmechanismen des Bildungssystems zur Verfestigung von Ungleichheiten beitragen, von der besonders Migranten betroffen sind. Aber auch im Falle gleicher Bildungsniveaus haben Migranten bis heute oft schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Dass erfolgreiche Karrieren und ihre Effekte entsprechende Chancen und integrationsfördernde Bedingungen benötigen, weiß jeder Fußballfan. Als zu Beginn des Jahres Mesut Özils Sprung in die Nationalmannschaft anstand, begann auch der türkische Verband, um den Spieler zu werben. Doch mit den ersten Einsätzen für die deutsche Nationalmannschaft schufen Löw & Co. Gelegenheiten und Signale, die Özils Entscheidung für Deutschland besiegelten.