Fryderyk Chopin. Mehr als "ewiges Gedudel" im Salon?
- Hartmuth Kinzler
- 12.11.2010
- Die Frage, ob Fryderyk Chopins Musik mehr sei als ein »ewiges Gedudel« im Salon oder gar – schlimmer noch – »Geklimper«, lässt sich rasch beantworten: Selbstverständlich ist sie unendlich viel mehr als das. Es ist richtig, dass Chopin, der fast ausschließlich für das Klavier komponierte, als Pianist vor Auftritten in großen öffentlichen Konzertsälen zurückscheute und die intime Atmosphäre und die Kennerschaft der Zuhörer in den aristokratischen Salons vorzog. Diesen Ort gibt es jedoch heute – sozialgeschichtlich gesehen – gar nicht mehr, und wenn von Salonmusik die Rede ist, war wohl schon immer die gute Stube des bürgerlichen Haushaltes gemeint, in der das Klavier, von der »höheren« Tochter bespielt, sein sonnund feiertägliches Dasein fristete. Weitere Faktoren, die das Bild der Chopinschen Musik geprägt haben, änderten sich ebenfalls seit den Zeiten des Komponisten. Da ist zum einen der melancholisch-aristokratische Gestus seiner Musik: Was heute mit Aristokratie, zumal in der Regenbogenpresse, verbunden wird, hat nichts mit jener vornehmen Zurückhaltung zu tun, die deren Bild in den Köpfen der Bürgerlichen bestimmte. Was bleibt, ist entsagende Melancholie, die die meisten seiner Werke in ihrem musikalischen Gehalt bestimmen. Chopin ist auch nicht mehr wie früher der Komponist der Krankenzimmer und Sanatorien. Das vielleicht heikelste Moment ist das nationale: Chopins Musik ist in weiten Teilen polnische Musik, und das nicht nur in den polnischen Tänzen wie dem Mazurek, dem Karkowiak oder der Polonaise, die er aus der Sphäre der bloßen Tanzmusik in das Bereich der Kunst- und Konzertmusik hob; auch manche seiner großen einsätzigen Formen erzählen davon, dass »Polen noch nicht verloren« sei. Und das wohl ist auch der Grund, weshalb die Nationalsozialisten, als sie Polen überfallen und Warschau okkupiert hatten, die Aufführung Chopins Musik verboten. Ob Nationales heute noch naiv zur Identifizierung des Zuhörers taugen kann, mag aber bezweifelt werden. Die musikalische Substanz der Chopinschen Musik jedenfalls ist derart originell und ausdruckstark, dass sie auch heute noch fast alle Zuhörer zu faszinieren vermag, ganz zu schweigen von jenen, die sich – selbst spielend – an den neuartigen immensen klaviertechnischen Schwierigkeiten versuchen. Auch in Klavierwettbewerben hat Chopin seinen festen Platz und fügt man manchen seiner Stücke ein Orchester mit Schlagzeugbegleitung hinzu, können gelegentlich sie sogar den Weg in die Charts finden.