Freiwilligkeit? Warum kassiert der Staat die Kirchensteuer?
- Reinhold Mokrosch
- 12.11.2010
- Der Grund für die Entstehung des staatlichen Einzugs von Kirchensteuern geht auf den Reichsdeputationsschluss von 1803 zurück. Im Zuge der Säkularisierung hatten die deutschen Fürsten alle Kirchengüter enteignet. Für den Finanzbedarf der Kirchen, so meinten sie, sollten die Kirchenmitglieder selbst aufkommen. Allerdings erklärten sie sich bereit, bei der Eintreibung der Steuern gegen eine Verwaltungsgebühr behilflich zu sein. So ist es noch heute: In 15 Bundesländern (außer Bayern) »kassiert« der Staat die Kirchensteuer. Das ist für die Kirchen finanziell günstig. Acht Prozent bis neun Prozent der Lohn- bzw. Einkommenssteuer wird von Berufstätigen, Rentnern und Pensionären als Annexsteuer einbehalten. Das sind bei Geringverdienern ca. 350 Euro, bei Superverdienern bis zu zwei Millionen Euro pro Jahr. Letztere finden aber Schlupflöcher und zahlenoft nur drei Prozent. Arbeitslose und nichterwerbstätige Ehepartner zahlen nichts, weil sie kein Einkommen haben. Weil aber auch sie von der Kirche profitieren, wird von ihnen (und anderen) ein Kirchgeld von 12 Euro pro Jahr erhoben. An wen überweist der Staat das einbehaltene Geld? An die Landeskirchen/Diözesen, die dann ihrerseits die Finanzmittel an ihre Gemeinden je nach Bedürftigkeit auszahlen. Wer hat Anspruch auf staatlichen Steuereinzug? Jede Religionsgemeinschaft – nicht nur die Großkirchen! Allerdings verzichten die Zeugen Jehovas, Adventisten, Freikirchen, Neuapostolische Kirchen, Mormonen und Orthodoxe darauf. Ist das staatliche Kirchensteuereinzugssystem in Ordnung? Fragen drängen sich auf, zum Beispiel: Wird das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche hier nicht durchbrochen? FDP, Grüne, Linke und Humanisten sind strikt gegen staatlichen Kirchensteuereinzug. Zu Recht, wenn Staat und Kirche sich dadurch beeinflussen würden. Das ist meiner Einsicht nach aber nicht der Fall. Deshalb akzeptiere ich den staatlichen Einzug. Ferner: Sollte man das Geld nicht besser als freiwillige Spende einziehen – à la USA? Wir wissen, dass in diesem Fall höchstens die Hälfte der gegenwärtigen Steuern zusammen käme. Deshalb bevorzuge ich den staatlichen Einzug. Schließlich: Ist es zu verantworten, dass der getaufte Säugling später, wenn er erstmals berufstätig ist, automatisch Kirchensteuer zahlen muss? Nein, das ist nicht zu verantworten! Denn hier wird das Evangelium der Taufe mit der Mitgliedschaft in der Kirche vermischt. Deshalb sollte der erstmals Berufstätige eigentlich gefragt werden, ob er/sie Kirchensteuer zahlen möchte. Aber wir wissen: Das würde zum Zusammenbruch der Volkskirche führen. Denn 50 Prozent würden »Nein« antworten. Deshalb hüte ich mich, das öffentlich zu fordern. Der staatliche Kirchensteuereinzug ist effizient. Nur so können die Kirchen ihren Auftrag erfüllen. Aber: Staat und Kirche müssen getrennt bleiben. Und: Der Zusammenhang von Taufe und Kirchensteuer ist und bleibt problematisch.