Sekunde Null. Was hat den Urknall ausgelöst?
- 12.11.2010
- Die ehrliche Antwort ist ebenso kurz wie unbefriedigend: Wir wissen es nicht. Dennoch ist die Betrachtung der verschiedenen physikalischen und nicht physikalischen Ebenen der Frage lohnend und interessant. Ein nicht-physikalischer Aspekt entsteht durch den Begriff »Auslösen«. Wir sind gewohnt in UrsacheWirkung-Zusammenhängen zu denken, es erscheint uns rational. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber ein etwas subjektiver, fast menschlicher Charakter des Begriffs: Auslösen beinhaltet immer auch die Möglichkeit des »Nicht-Auslösens«. Man würde zum Beispiel sagen: »Die Ziege hat die Lawine ausgelöst.« Klar, sie hätte ja nicht im Schneefeld herumspringen müssen. Aber würde man sagen, eine Pendelschwingung wurde von der vorangegangen Schwingung ausgelöst? Wohl eher nicht. Das physikalische Weltbild entspricht – stark vereinfacht – einer Vielzahl von Pendeln, die untereinander, zum Beispiel durch Schnüre verbunden sind. Das Schwingen eines Pendels ist sowohl Ursache als auch Wirkung des Schwingens anderer Pendel. Der gerichtete Kausalzusammenhang verliert an Bedeutung, man kann nur versuchen, die Bewegung des Systems als Ganzes zu beschreiben. Wir neigen zur Vorstellung einer initialisierenden Ursache, weil nicht immer alle Bewegungen eines Systems gleich sichtbar sind: Die physikalischen Prozesse im neuralen System der Ziege, in deren Folge sie in das Schneefeld sprang, sehen wir nicht. Eine physikalischere Version der Frage könnte also lauten: »Wo und wie bewegten sich die Teilchen des Universums vor ca. 15 Milliarden Jahren?« Leider wissen wir auch das nicht. Aus der Bewegung des Pendelsystems zu einer gegebenen Zeit können wir tatsächlich – nach den Gesetzen der Newtonschen Physik – die Bewegung zu irgendeiner vorherigen Zeit ausrechnen. Versuchen wir nach Einsteins Relativitätstheorie dasselbe mit dem Universum, so finden wir, dass vor ca. 14 Milliarden Jahren alle Teilchen des Universums vollständig in einem Punkt konzentriert gewesen wären. Bewegung innerhalb eines Punktes gibt es nicht, dementsprechend ist ein »Zurückrechnen« hinter diesen Zeitpunkt prinzipiell nicht möglich. Unserer Alltagserfahrung erscheint das fremd, mathematisch ist es aber nicht so ungewöhnlich. Vermutlich ist jedoch die klassische Relativitätstheorie, die für unzählige physikalische Vorgänge ausgezeichnete Ergebnisse liefert, auf diese frühe Phase des Universums sowieso nicht anwendbar. Nach ihr würden sich zum Beispiel auch schwarze Löcher nie auflösen. Wenn das so wäre, müssten wir vor der Höhenstrahlung aus dem All und dem großen Teilchenbeschleuniger in Genf (LHC) wirklich Angst haben: Beide erzeugen nämlich schwarze Löcher in unserer Atmosphäre. Erfahrungsgemäß »verdampfen« diese aber sehr schnell.