Embryonen- und Stamzellenforschung. (Un)heil aus der Petrischale?
- Rainer Trapp
- 11.11.2011
- Die moderne Fortpflanzungsmedizin brachte im Gefolge der künstlichen Befruchtung bislang sechs weitere, vordem unerahnbare Möglichkeiten der Manipulation an außerkörperlich erzeugbarem menschlichen Leben. Deren therapeutisch bei weitem aussichtsreichste ist die embryonale Stammzell-Forschung (ES-Forschung). Denn ES-Zellen erlauben es theoretisch, sämtliche der über 250 menschlichen Gewebetypen gezielt zu züchten und so, vor allem im Verein mit dem sogenannten therapeutischen Klonen, langfristig zum Teil schwerste Leiden zu heilen. Leider zerstört die ES-Entnahme aus Präembryonen (etwa sechs Tage nach der Befruchtung) letztere unvermeidlich. Vor allem christlich orientierte Bewerter sehen hierin eine unzulässige Verletzung der dem Menschen von Anfang der Genomverschmelzung an zukommenden absoluten Rechte auf Leben und Menschenwürde. Weniger restriktive Bewerter wollen Embryonen erst nach der etwa zweiwöchigen Pränidationsphase den Status von Rechtsträgern gewähren, was »verbrauchende« ES-Forschung erlauben würde. Auf irgendwelche embryonalen Rechte gestützte Verbote hält dagegen eine noch liberalere dritte, rein säkular-ethische Position, für die auch der Autor votiert, selbst über die Pränidationsphase hinaus schon deswegen für nicht rational begründbar, weil Präembryonen wie auch Embryonen noch keinerlei Rechtsträgerstatus zukomme. Denn jedwede Rechteverleihung setze als notwendige, wenngleich noch keineswegs hinreichende Bedingung ein (nicht unbedingt verbal formuliertes, aber doch mindestens verhaltensgegründet unterstellbares) Interesse des Rechtsträgers an denjenigen Zuständen voraus, die ihm die Gewährung jenes Rechts im Unterschied zu seiner Verweigerung verschaffen würde. Eine derartige Interessen- und Präferenzfähigkeit eignet aber nur Lebewesen auf einem Entwicklungsstand, der ihnen jene Zustände überhaupt zu registrieren und zu bewerten erlaubt. Der Präembryo verfügt jedoch während seiner zweiwöchigen Existenz, anders als etwa der spätere Fötus, noch nicht über ein Zentralnervensystem als die Voraussetzung für auch nur schwächste Formen der Interessenfähigkeit. Sein »Verbrauch« durch die ES-Forschung verletzt mithin keinerlei ihm sinnvollerweise zusprechbare absolute Rechte. Diese Bestreitung seines Rechtsträgerstatus schließt natürlich nicht aus, ihn als rechtliches Schutzgut anzusehen und ihn als solches vor allerlei frivolen Handlungsweisen zu schützen. Qua Schutzgut aber wäre er nicht absolut geschützt, sondern gegen andere gewichtige Rechtsgüter, wie vor allem die von der ESForschung angestrebte Vermeidung schwersten krankheitsbedingten Leids, prinzipiell aufwiegbar. Eben dies legt nahe, der ES-Forschung das Anlegen neuer ESZelllinien wie auch das therapeutische Klonen mindestens solange zu erlauben, als die ethisch unumstrittenen adulten sowie induziert pluripotenten Stammzellen, die beide ohne Präembryonenverbrauch gewinnbar sind, für Forschungs- und therapeutische Zwecke noch nicht ausreichen. Eine solche Erlaubnis würde insofern allen Betroffenen gerecht, als andersdenkende Forscher von ihr ja keinen Gebrauch machen müssten. Ein striktes Verbot hingegen träfe, wie es bereits das hiesige relativierte Verbot tut, alle liberaleren Forscher und vor allem die zahlreichen auf dereinstige Heilung hoffenden Leidenden, die den schwersten Preis hierfür zu zahlen hätten. Wieviel des erhofften therapeutischen Heils am Ende aus der Petrischale kommt, wird erst die Zukunft zeigen. Dass dies mit keinerlei ethischem Unheil erkauft werden muss, lässt sich für die ES-Forschung aus säkularer, vernunftethischer Sicht dagegen schon jetzt eindeutig feststellen.