Viele Religionen haben einen gleichen Ursprung. Gibt es Hoffnung auf eine Weltreligion?
- Reinhold Mokrosch
- 11.11.2011
- Wird es eines Tages eine Weltreligion geben? Warum denn nicht? Auf europäischer Ebene gibt doch schon eine gesamteuropäische Sprache: Esperanto. Und eine gesamt-europäische Währung: den Euro. Warum sollte es nicht auf Weltebene auch eine gemeinsame Weltreligion geben? »Um Gottes willen: Nein!« sagen die Religionspluralisten. Die Vielzahl der Religionen mit ihrer Vielfalt an Kulturen ist doch ein Reichtum! So lernen wir Mutter Ganges, das Taj Mahal, den Sinai-Berg von Mose, die Klagemauer, den Vatikan und Notre Dame kennen. Es wäre doch ein Jammer, hätten wir nur Mutter Ganges, Vater Rhein und nur Flüsse, oder nur Sinai-Berge oder nur Klagemauern oder nur Vatikane. Nein, die Vielfalt der Religionen ist ein Reichtum, sagen die Religionspluralisten. Na ja, kontern die Liebhaber einer Weltreligion, die Vielfalt birgt doch riesige Gefahren in sich: Religionen überbieten, übertrumpfen und bekämpfen sich. Ohne Religionen gäb’s weniger Kriege! Und: Religionen entfremden die Völker voneinander. Arabien und Europa zum Beispiel haben sich entfremdet, seitdem die einen muslimisch und die anderen christlich geprägt sind. Eine gemeinsame Weltreligion, so hoffen sie, könnte diese Gefahren mindern. Wer hat Recht? Wäre eine Weltreligion, wenn es sie denn gäbe, zu begrüßen oder abzulehnen? Aber zunächst: Kann es überhaupt eine gemeinsame Weltreligion geben? Ich antworte mit einem klaren »Jein«! Zunächst zum bedingten »Ja«: Es stimmt, dass die meisten Religionen einen gemeinsamen Ursprung haben: nämlich das Ur-Sein bzw. die Ur-Seele oder den Ur-Grund allen Lebens. Hindus nennen es Brahma und verstehen jede ihrer 300 Millionen Hindu-Gottheiten als Erscheinung und Manifestation dieses Brahma; auch Jesus, Buddha und Muhammad. Paul Tillich nannte diesen Urgrund des Lebens das »Sein-Selbst«. Und Religionspluralisten nennen ihn »Gott über Gott«. – Dieser gemeinsame Ur-Grund ist der radikal-metaphysische Hintergrund vieler Religionen. Aber er ist noch keine Religion. Brahma, das Sein-Selbst und »Gott über Gott« sind der Ermöglichungsgrund von Religion, aber keine Religion – und erst Recht keine Weltreligion. Denn Religion ist ein System von Symbolen, Bildern, Riten, Ritualen und Vorstellungen, die alle kulturell, regional und traditional gewachsen sind. Und daraus resultiert das klare »Nein« zu einer Weltreligion: Die Erscheinungsformen des Brahma sind indisch-hinduistisch geprägt; die Erscheinungsformen des Seins-Selbst westlich-christlich; diejenigen des »Gottes über Gott« jüdisch usw. Und so gibt es indische Götterwelten; christliche Trinität; jüdische Jahweund muslimische Allahvorstellungen. Religionen sind kulturell geprägt, sonst sind sie keine Religionen. Ist es gut oder schade, dass es keine Weltreligion gibt und geben wird? Ich halte es für gut. Weil ich die Pluralität als Reichtum erachte, der höher zu schätzen ist als die Gefahren der Vielfalt an Religionen. Allerdings: Der Frieden unter den Religionen ist eine enorm wichtige Bedingung für den Frieden in der Welt – nicht eine Weltreligion.