Arabischer Frühling. Welche konkreten Wege gibt es in eine demokratische Zukunft?
- Ingeborg Tömmel
- 11.11.2011
- Die Frage ist sehr breit; sie betrifft viele Länder, die mehr oder weniger am arabischen Frühling teilhaben. Dieser war bisher aber nur in drei Ländern erfolgreich, die den anderen nun zum Vorbild werden 1. Zunächst, was ist Demokratie? • Ein politisches System, das die Wahl und die Ablösung der Regierung durch faire und freie Wahlen ermöglicht. 2. Welche Voraussetzungen braucht ein demokratisches System? • Politisch-institutionelle Strukturen, • eine aktive Gesellschaft, • günstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen. 3. Welche Institutionen braucht man im Einzelnen: • freie Wahlen, auf Basis der Freiheit und Gleichheit der Bürger, • politische Parteien, die Alternativen präsentieren, • Gewaltenteilung zwischen Legislative (Parlament), Exekutive (Regierung) und Judikative (Gerichtshöfen), • Möglichkeit der Alternanz der Regierung, • Rechtsstaatlichkeit. Nehmen wir Ägypten als Beispiel, das nach dem Sturz Mubaraks den Umbruch von einem autoritären zu einem demokratischen System wagt. Freie Wahlen sind angekündigt, politische Parteien sind im Aufbau, eine erste Verfassungsänderung ist durchgeführt; eine weitere soll folgen. Allerdings: Eine funktionierende Demokratie braucht nicht nur formale Institutionen, sondern auch die passende politische Praxis. Schon unter Mubarak gab es (schein-) demokratische Institutionen – z. B. eine Verfassung, ein Parlament, mehrere Parteien – aber keine demokratische Praxis. Die Wahlen wurden gefälscht, Parteigründungen behindert, Oppositionelle massiv unterdrückt, die Presse zensiert, die Verfassung durch den Ausnahmezustand ausgesetzt. Polizei und Militär schikanierten die Bevölkerung und der Regierungschef blieb jahrzehntelang an der Macht. Dennoch gab und gibt es Aktiva in der Gesellschaft zugunsten einer demokratischen Entwicklung. Das sind • eine entwickelte Zivilgesellschaft, die demokratische Rechte und Freiheiten einfordert; • zivilgesellschaftliche Organisationen, die die Forderungen bündeln und teilweise auch durchsetzen (z. B. der Richterbund); • eine Tradition des demokratischen Protestes (z. B. die Kifaya-Bewegung). Diesen Aktiva stehen allerdings Probleme gegenüber: • Die alten, wirtschaftlichen und politischen Eliten verteidigen ihre Privilegien, • das Militär lässt sich nur schwer entmachten; • der Polizeiapparat ist trotz Auflösung immer noch präsent; • die neuen politischen Parteien sind stark zersplittert und schwach organisiert; • die alten Kräfte (Islamisten sowie Nachfolgeparteien der Staatspartei) haben einen organisatorischen Vorsprung. Kurzum: Der konkrete Weg in eine demokratische Zukunft ist offen. Der Erfolg wird von den Kräfteverhältnissen in der Gesellschaft abhängen; der Weg wird lang sein. Gelingt allerdings der Erfolg, wird er weitere Länder erfassen. Der Westen sollte den Weg begleiten mit wirtschaftlicher Unterstützung und politischer Zurückhaltung.