Fiskalpolitik. Ist die Eurokrise eine Gefahr für die Demokratie in Europa?
- 23.11.2012
- Die Schuldenkrise in Europa unterscheidet sich fundamental von vorhergehenden Krisen. Sie rüttelt an den Grundfesten der nationalen Verfassungsordnungen und hat seit 2010 zu einer Verlagerung von Kompetenzen nicht nur von nationaler auf die europäische Ebene, sondern vor allem aus der Europäischen Union heraus in neuartige Vertragswerke geführt. Die Regeln des Vertrags von Lissabon, der ursprünglich einmal als großer Reformvertrag gefeiert wurde und der die EU »Fit für die Zukunft« und demokratischer machen sollte, haben faktisch nur ein Jahr Bestand gehabt. Das ständige Nachschieben neuer Beschlüsse der Euroländer in Sondergipfeln erweckt zudem den Eindruck eines permanenten Regierens im Ausnahmezustand, sodass man mit Fug und Recht nach der Zukunft der Demokratie in Europa fragen kann. Gleichzeitig ist es aber wohl richtig, dass eine gemeinsame Währung für die aktuell 17 Euroländer auf der einen Seite nicht einfach rückgängig zu machen ist und sie auf der anderen Seite ohne eine gemeinsame Wirtschafts- und Haushaltspolitik langfristig nicht funktionieren kann, wie dies auch schon zu Beginn der Währungsunion von zahlreichen Experten angemahnt worden war. Es bedarf einer zügigen Behebung dieses Strukturproblems. Allerdings wird dieses Strukturproblem in weiten Teilen der Bevölkerung eher als Versagen einzelner – als unverantwortlich handelnd wahrgenommener – Mitgliedstaaten der EU (Griechenland u. a.) wahrgenommen. In den Krisenländern fühlt man sich dagegen – ebenfalls verständlich – »fremdregiert« von den wirtschaftsstarken Ländern der EU und einer technokratischen »Troika«. Derartige Akzeptanzprobleme und gegenseitige Schuldzuweisungen in den Bevölkerungen der Krisen- und Geberländer spiegeln sich bislang noch nicht in parlamentarischen Prozessen. Auf beiden Seiten ist zu beobachten, dass sich nationale Gesetzgeber nicht nur von Expertenmeinungen, sondern vor allem von einem europäischen Solidaritätsdiskurs tragen lassen. So entschied der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit für die deutsche Kofinanzierung europäischer Rettungsmaßnahmen. In der vorangegangenen Debatte wurden zwar demokratische Defizite moniert, doch wurde die Entscheidung mit der Sorge um und Verantwortung für die Zukunft Europas begründet. Die Idee einer europäischen Schicksalsgemeinschaft fungierte gewissermaßen als Formel, um die gegenwärtige wirtschafts- und finanzpolitische Komplexität zu reduzieren und eine Entscheidung zu ermöglichen. Darin liegt noch kein Demokratieproblem, denn Komplexitätsreduktion ist Aufgabe der Politik. Ein Problem entsteht jedoch, wenn die Formeln der politischen Elite in der Bevölkerung keine Resonanz mehr finden. Darin liegt die demokratische Herausforderung der Zukunft.