Moral. Kann ein Krieg gerecht sein?
- 15.11.2013
- Die Frage nach der Gerechtigkeit des Krieges ist unter Philosophen umstritten. Meine Antwort hat drei Teile. 1. Krieg ist niemals gerecht. In einer vollständig gerechten Welt gibt es keinen Platz für Krieg. Denn Gerechtigkeit besteht im Schutz der Rechte von Personen, zu denen unter anderem das Recht auf körperliche und seelische Integrität, das Recht auf Nahrung und Obdach, das Recht auf persönliche Selbstbestimmung und politische Mitbestimmung sowie das Recht auf Eigentum gehören. In jedem Krieg werden diese Rechte verletzt, werden Menschen, die keine Schuld am Krieg tragen, getötet, verlieren ihr Hab und Gut, ihre Zukunftsperspektive, ihre Gesundheit. Jeder Krieg verletzt die Rechte von Menschen und insofern ist kein Krieg gerecht. 2. Krieg kann moralisch gerechtfertigt sein. Die Rechte von Menschen zu verletzen, ist nicht gerecht. Aber es kann gleichwohl moralisch zulässig sein, und zwar dann, wenn es keine Handlungsmöglichkeit gibt, die niemandes Rechte verletzt. Das gilt auch für den Krieg. Menschenkönnen ein Recht darauf haben, dass andere ihnen zu Hilfe kommen, wenn sie massivste Ungerechtigkeit erleiden. Wenn ein Krieg das letzte und einzig taugliche hinreichend erfolgversprechende Mittel darstellt, schwerstwiegende Rechtsverletzungen zu beenden und dabei in seinen Methoden verhältnismäßig ist, kann er moralisch gerechtfertigt werden. Ob je ein Krieg diesen Bedingungen wirklich genügt hat, ist eine andere Frage. Wenn ein Krieg ihnen genügt, macht ihn das nicht gerecht, aber zulässig. 3. Es ist wichtig, die Frage nach der Rechtfertigung des Krieges nicht mit der Frage nach seiner Gerechtigkeit gleichzusetzen. Die Unterscheidung zwischen der Gerechtigkeit des Krieges und seiner Rechtfertigung ist wichtig. Wir schulden sie jenen, die in zulässigen Kriegen ihr Leben, ihre Lieben, ihr Hab und Gut oder ihren Verstand verlieren. Sie verdienen, dass man das Unrecht anerkennt, das ihnen widerfahren ist, und sie um Verzeihung bittet. Sie haben einen Anspruch auf Entschädigung und Mitgefühl, der aus dem Blick gerät, sobald wir den Krieg für gerecht erklären. Wenn wir andererseits nur auf die Ungerechtigkeit des Krieges sehen, ohne seine Zulässigkeit zu bedenken, berücksichtigen wir das Opfer derjenigen nicht ausreichend, die sich in gerechtfertigten Kriegen großer Gefahr aussetzen, um andere Menschen vor der Vernichtung und vollständigen Entrechtung zu schützen. Wer in einen Krieg zieht, der den oben genannten Bedingungen genügt, verdient trotz der Ungerechtigkeit des Krieges nicht Verachtung, sondern Mitgefühl und Respekt – und, wenn er oder sie denn zurückkehrt – Unterstützung und Fürsorge. Nur wenn wir zusätzlich zur Frage nach der Gerechtigkeit des Krieges die Frage nach seiner Rechtfertigung stellen, können wir den Menschen, die vom Krieg betroffen sind, gerecht werden.