Evangelische Kirche. Ehe und Treue ein Relikt vergangener Zeit?
- Arnulf von Scheliha
- 15.11.2013
- Die Ehe ist eine gute Gabe Gottes, eine Gemeinschaft, die unter dem Segen Gottes steht. Das ist die Grundaussage der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in ihrer jüngsten Stellungnahme zu Ehe und Familie. Die Ehe ist kein Relikt vergangener Zeiten. Vielmehr verbindet der gottesdienstliche Segen die Treue Gottes zum sündigen Menschen mit der partnerschaftlichen Treue. Die Trauung vergegenwärtigt das Glück, das Paare verspüren und die Bedeutung von Treue, Geduld und Vergebungsbereitschaft für die Liebe. Viele Menschen irritiert, dass die EKD neben der lebenslangen Ehe zwischen Mann und Frau auch Ehen Geschiedener, homosexuelle Partnerschaften sowie Lebensgemeinschaften, die keinen Rechtsstatus anstreben, würdigt. Damit werden die gesellschaftlichen Realitäten anerkannt. Zugleich verlässt die EKD die lange theologische Tradition, die der lebenslangen Ehe zwischen Mann und Frau exklusiven Vorrang gab. Die Hauptstoßrichtung des Dokumentes wird im Untertitel genannt: »Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken.« Die Familie gilt als Keimzelle der Gesellschaft und das ist eine grundlegende sozialethische Einsicht. Um der Vielfalt des modernen Lebens gerecht zu werden, verwendet man einen erweiterten Familienbegriff, der nicht nur die Kleinfamilie, sondern auch Alleinerziehende und Patchwork-Familien umfasst. Ethisch lässt man sich vom Kindeswohl und vom Gleichheitsgrundsatz leiten, der für alle Familienmitglieder gilt. Diese Normen sind in den ethischen Diskursen der letzten Jahre zu Recht in den Vordergrund gerückt und haben die paternalistischen Muster abgelöst, die das Ehe- und Familienverständnis oftmals bestimmen. Alle Familien- und Ehemitglieder sind gleichberechtigt. Das bedeutet auch: Alle sind gleich berechtigt, sich Partner zu suchen, auch gleichgeschlechtliche. Aber alle sollen den Normen von Treue, Geduld und Vergebungsbereitschaft genügen. Sie repräsentieren die christliche Substanz von Ehe und Familie. Befremdlich ist, dass die Kirchen der Reformation, die sich auf das Fundament »sola scriptura« berufen, in diesem Dokument ganz ohne biblische Bezüge auskommen wollen. Man zitiert nur das Verslein »Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei« (Gen 2,18). Auf eine exegetische Aufarbeitung des biblischen Befundes wurde verzichtet. Befremdlich ist, dass der Begriff »bürgerliche Ehe« abwertend verwendet wird. Man lobt durchweg die Familienpolitik der DDR und stellt diejenige der frühen Bundesrepublik als reaktionär dar. Solche Holzschnitte blenden die Kontexte aus und suggerieren, die DDR sei der Ort von Emanzipation und die Bundesrepublik der von paternalistischer Unterdrückung gewesen. Dadurch vermittelt man ein groteskes Geschichtsbild. Der Hauptmangel dieses Dokumentes besteht darin, dass man die ethisch einleuchtende und gesellschaftlich angemessene Sachaussage nicht mit einer guten theologischen Begründung versehen hat. Die neuen Einsichten, die ja eine »Orientierungshilfe« sein wollen, wären als Ergebnis einer theologischen Lerngeschichte zu präsentieren. Denn die situationsgerechte Interpretation der christlichen Botschaft ist wesentlich für die Glaubwürdigkeit der Religionen. Oft sind es die gleichen Menschen, die vom Islam fordern, er möge sich modernisieren und den evangelischen Kirchen Anpassung an den Zeitgeist vorwerfen. Gegenwartstauglichkeit ist eine Forderung, die an alle Religionen gerichtet ist. Aber diese Aufgabe ist theologisch zu lösen. Der Ansatz dafür wäre: Die Gleichstellung der anderen Lebensformen bedeutet keine Abwertung der Ehe, sondern die Bewährung und Anerkennung ihres normativen Fundamentes.