Asyl. Droht Deutschland eine Flüchtlingskatastrophe?
- 14.11.2014
- Das Flüchtlingsthema ist in aller Munde. Folgt man den Medien und manch aufgeregten politischen Debatten, entsteht der Eindruck eines »Ansturms« und einer »Flüchtlingskatastrophe« auch in und für Deutschland. Im Vergleich zu den frühen 1990er Jahren, als schon einmal der Asylnotstand ausgerufen wurde, liegen die Zahlen bis heute deutlich niedriger. Die für 2014 erwarteten ca. 210.000 Flüchtlinge entsprechen nicht einmal 0,3 Prozent der Bevölkerung eines der reichsten Länder der Erde. Rechtfertigt dies eine Katastrophenrhetorik? Europa und Deutschland nehmen nur einen Bruchteil der 51 Millionen Flüchtlinge weltweit auf. Die Katastrophen finden andernorts statt. Zum Beispiel im kleinen Libanon, der mit seinen vier Millionen Einwohnern alleine eine Million Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen hat. Oder im Mittelmeer, wo Flüchtlinge ertrinken oder gewaltsam abgewehrt werden. Oder in den Flüchtlingslagern an der europäischen Außengrenze. Sichtbar werden dort die Folgen einer ebenso schäbigen wie schändlichen europäischen Festungs- und Abwehrpolitik, deren Umsetzung den krisengebeutelten, »sicheren« Dritt- und Randstaaten Europas übertragen wird. Eine solche Politik der Marginalisierung und Externalisierung kennzeichnet auch manchen Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland. Man denke an die zu lange Unterbringung in peripher gelegenen und unwürdigen Sammelunterkünften, an misshandelnde, nicht kontrollierte Wachleute oder an die zu geringe finanzielle Unterstützung der besonders betroffenen Städte. Flüchtlinge sehnen sich nach besseren Lebensverhältnissen. Dafür strengen sie sich an und nehmen vieles auf sich. Die meisten wollen Deutsch lernen, arbeiten, sich frei bewegen und neue Freundschaften knüpfen. Stattdessen werden viele gesetzlich zum Warten und Nichtstun verdammt, ihre Qualifikationen und Potenziale liegen brach. All dies ist nicht nur moralisch fragwürdig, sondern auch migrationspolitisch kurzsichtig. Denn Deutschland braucht Einwanderung. Sind Niedersachsen und Deutschland durch die Millionen Flüchtlinge, die seit dem Zweiten Weltkrieg aufgenommen wurden, etwa schwächer geworden? Die verbreitete Katastrophenrhetorik schürt Angst. Sie verknüpft Flucht mit außergewöhnlichen Belastungen, nicht mit Wandel oder Chancen. Zudem ist Flucht kein Ausnahmeereignis. Angesichts der Krisenhaftigkeit unserer Welt sollten wir auch in Zukunft mit Fluchtbewegungen rechnen und uns besser auf sie einstellen. Die Hilfsbereitschaft vieler Bürger weckt Hoffnung. Unterstützende soziale Bewegungen und innovative Maßnahmen einiger Städte deuten ebenfalls auf einen möglichen Wandel hin. Auch in Osnabrück werden Flüchtlinge selbstbewusst in die Stadtgesellschaft integriert. Dennoch ist der Weg zu einer Migrationsgesellschaft, die mit Flüchtlingen gelassen umgeht, noch lang.