Krieg in der Ukraine. Hat Europa versagt?
- 14.11.2014
- Was im November 2013 als inner-Ukrainische Protestbewegung gegen den Präsidenten Janukovitsch begann, hat im vergangenen Jahr die Dimension eines kriegerischen Konfliktes angenommen. Deutungen gehen auseinander, ob es sich (noch) um einen Bürgerkrieg in der Ukraine handelt, oder um einen Krieg Russlands gegen die Ukraine. Sowohl die Annexion der Krim durch Russland im März 2014 als auch Nachweis, dass Aufständische mit militärischer Unterstützung durch Russland für die Abspaltung der Regionen Donezk und Lugansk kämpfen, verweisen darauf, dass Russland die politische Instabilität der Ukraine zur Befriedigung eigener geopolitischer Machtansprüche nutzt. Die Bemühungen der internationalen Staatengemeinschaft um eine Beilegung des Konflikts waren bislang erfolglos. Krisengipfel blieben ineffektiv, Sanktionen zögerlich, Waffenlieferung sind (noch) Tabu, kurzfristige Waffenruhen wurden immer wieder gebrochen. Nicht nur in Russland, sondern auch in Teilen der westlichen Berichterstattung wird die EU für die fortwährende Krise in der Ostukraine verantwortlich gemacht. Es heißt: Europa habe Russland mit der Osterweiterung von EU und NATO provoziert und sei mit seiner Nachbarschaftspolitik und Assoziierungsabkommen in einem Ausmaß in die Einflusssphäre von Russland eingedrungen, dass mit einer Abwehrreaktion von Russland zu rechnen war. Insbesondere habe man den Großmachtanspruch Russlands in der Welt nicht hinreichend ernst genommen, Präsident Putin und die russische Regierung während der Auseinandersetzungen brüskiert und regionale Sensibilitäten missachtet. In der Tat entspricht dies der Interpretation Putins. Doch sie besteht aus Halbwahrheiten und rechtfertigt die Aggression Russlands nicht. So hat es nie formale Zusagen gegeben, eine Osterweiterung der NATO zu unterlassen. Dass es zur Osterweiterung sowohl der EU als auch der NATO gekommen ist, ist dem nachdrücklichen Interesse der Bewerberländer und sicher nicht einer »Rattenfängermentalität« des Westens zu verdanken. Bezüglich der Ukraine steht die NATO Mitgliedschaft aktuell nicht auf der Tagesordnung, genauso wie die EU Mitgliedschaft nicht am Ende der geplanten Wirtschaftsassoziation stand. Dennoch wäre eine pluralistische und demokratische Ukraine mit EU-Orientierung eine Provokation gegenüber russischer Ambitionen der eigenen Peripherie. Das Abwehren engerer Beziehungen von Ukraine und EU, verstanden als respektvolle Geste gegenüber Russland, wie von einigen Vertretern der politischen Prominenz gefordert, wäre ein erneutes Versagen gegenüber der Ukraine. Nun ist die Ukraine nicht nur Opfer in einer heiklen geopolitischen Gemengelange. Die Wirtschaft des Landes ist seit den 1990er Jahren um die Hälfte geschrumpft, da das Land von alter Nomenklatura und neuen Opportunisten in kleptomanischer Manier regiert wurde. Massenarmut und die Macht mafiöser Wirtschaftsbosse gegenüber schwachen staatlichen Akteuren – nicht ethnische Zugehörigkeiten – haben den Osten des Landes destabilisiert und angreifbar gemacht für anti-westliche Propaganda und (russisch unterwanderte) separatistische Milizen. Der EU kann man diese Zustände in der Ostukraine nicht zur Last legen. Aber man sollte nicht unkritisch sein. Tatsächlich verweist die Möglichkeit eines Auseinanderbrechens der Ukraine auf die Grenzen einer allein auf positive Anreize setzenden Nachbarschaftspolitik. Ein missregiertes Land wird man so weder vor sich selbst noch vor destabilisierender Infiltration von außen retten. Doch demokratische und liberale Kräfte in der Ukraine benötigen dringend der Vergewisserung durch die EU – auch in Opposition zu Russland.