Suizidbeihilfe. Eine Frage der Moral?
- 13.11.2015
- Vor Kurzem hat eine Mehrheit der Abgeordneten im Deutschen Bundestag für ein weitgehendes Verbot der Beihilfe zum Suizid votiert. Die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit der Suizidbeihilfe ist damit in Deutschland fürs Erste beantwortet. Das gilt jedoch nicht für die moralische Frage: Ob es moralisch zulässig ist, einem Menschen, der sein Leben nicht mehr erträgt und um Suizidbeihilfe bittet, diese Unterstützung zu gewähren – darüber entscheiden nicht die Mehrheitsverhältnisse in politischen Gremien. Wovon hängt es stattdessen ab? Vier Aspekte sind aus meiner Sicht entscheidend: 1. Suizidbeihilfe ist ein Akt der Hilfe. Anderen zu helfen ist nur dann moralisch zulässig, wenn der Zweck, den die Hilfe befördert, moralisch erlaubt ist. Für die Suizidbeihilfe heißt das: Nur wenn es moralisch zulässig ist, dass ein Mensch sein Leben eigenhändig beendet, dürfen andere ihm dabei helfen. Ist der Suizid moralisch zulässig? 2. Unbestreitbar scheint mir, dass jeder Mensch das moralische Recht auf Selbstbestimmung in Fragen des eigenen Sterbens hat. Strittig ist aber, was dieses Recht beinhaltet. Ich möchte vorschlagen, es zuallererst als ein Recht auf Freiheit von Fremdbestimmung in der Frage des eigenen Sterbens zu verstehen. Es besagt, dass niemand mich zum Weiterleben zwingen darf. Niemand darf mich etwa im Fall einer lebensbedrohlichen Erkrankung dazu zwingen, lebensrettende oder -verlängernde Therapien in Anspruch zu nehmen. Dass wir mit Blick auf unser Sterben niemandes Autorität unterworfen sind, heißt meines Erachtens 3. jedoch noch nicht, dass wir unser Leben aktiv beenden dürfen, wann und aus welchen Gründen auch immer wir wollen. Warum nicht? Damit unser Leben gelingen kann, müssen wir es mit anderen teilen. Wir brauchen Beziehungen zu Menschen, für deren Wohlergehen unser Da-Sein von zentraler Bedeutung ist; wir leben von Beziehungen, für die die wechselseitige Sorge um das Wohl des jeweils anderen konstitutiv ist. Solche Beziehungen beruhen meines Erachtens notwendig auf dem stillschweigenden Versprechen, nach Möglichkeit auch morgen noch da zu sein, füreinander da zu sein. Ist der Suizid also per se moralisch unzulässig? 4. Nein, es gilt zu bedenken, dass das Versprechen der Sorge um das Wohlergehen des anderen uns in diesen Beziehungen wechselseitig verpflichtet. Wenn ein Mensch sein Leben nicht mehr erträgt und keine Linderung auf für ihn zumutbarem Weg oder in für ihn zumutbarer Frist in Sicht ist, darf er von denen, die ihm nahestehen, erwarten, dass sie seiner Bitte, ihn von seinem Versprechen und damit von seiner Pflicht zu entbinden, entsprechen, dass sie ihn freigeben. Dass sie das manchmal nicht fertigbringen, ist psychologisch nur zu verständlich, aber es ändert nichts daran, dass sie es, moralisch betrachtet, tun sollten. Der Betroffene ist damit von jeder Pflicht befreit. Er darf sein Leben beenden – und wir dürfen ihm dabei helfen.