Wiederheirat und Homosexualität. Warum zögert die katholische Kirche, sich der Lebenswirklichkeit zu stellen?
- 13.11.2015
- „Im falsch verstandenen Bemühen, die kirchliche Lehre hochzuhalten, kam es in der Pastoral immerwieder zu harten und unbarmherzigen Haltungen, die Leid über Menschen gebracht haben. Als Bischöfe unserer Kirche bitten wir diese Menschen um Verzeihung“, so spricht die deutschsprachige Gruppe, der unter anderen Bischof Bode und Kardinal Marx angehört haben, in ihrem Zwischenbericht der Familiensynode ihre Bitte um Verzeihung aus. Zugleich wird die grundlegende Herausforderung und Spannung für die katholische Kirche, ihrem Auftrag und ihrer Lehre treu zu bleiben, angesichts der vielfältig veränderten Lebenswirklichkeiten von Ehe und Familie weltweit, deutlich. Sich der Welt einfach anzupassen, darf die Kirche nach ihrem eigenen theologischen Selbstverständnis nicht: „Gleicht euch nicht dieser Welt an“ (Römer 12,2) ist eine Ermahnung, die gerade der Apostel Paulus immer wieder an seine Gemeinden gibt. Etwa 2000 Jahre nach dem Entstehen des Neuen Testaments und in einer Weltkirche, die mit 1,22 Mrd. Katholiken die größte Glaubensgemeinschaft der Welt ist, mit weitaus den meisten Gläubigen in Lateinamerika, verschieben sich die Gewichte: Längst gibt nicht mehr Europa die alleinige Sicht der Dinge vor, und es wächst die Einsicht, dass diese Kirche längst zu groß, zu plural und zu heterogen geworden ist, als dass alles einheitlich von Rom aus geregelt werden könnte. Gerade im sensiblen Feld der Gestaltung von Beziehungen und Partnerschaften, wird der breite Graben zwischen kirchlicher Lehre und gelebter Alltagswirklichkeit besonders offenkundig und stößt gerade auch engagierte Kirchenmitglieder ab und vor den Kopf! Die Themen, die die hiesige Ortskirche besonders im Fokus hat – der Umgang mit wiederverheiratet Geschiedenen, unverheirateten oder homosexuellen Paaren – sind weltweit nicht überall die drängendsten Fragen. Und leider bleibt das kompromissorientierte Abschlussdokument in diesen Fragen mehr als vage, was allerdings dem Papst die Möglichkeit eröffnet, die Empfehlungen der Synode in seinem nachsynodalen Schreiben zu konkretisieren. Papst Franziskus nimmt ernst, was das Zweite Vatikanische Konzil vor 50 Jahren mit dem „Sensus fidelium“, dem Glaubenssinn der Gläubigen, beschrieben hat: Was Christen weltweit leben und bekunden, ist von theologischer Würde und Bedeutung. Und auch die neue Betonung der Eigenständigkeit der Ortskirchen, der Bistümer vor Ort, ist eine Errungenschaft des Konzils. In seiner Abschlussrede hat der Papst gesagt: „Die wahren Verteidiger der Lehre sind nicht die, die ihren Wortlaut ehren, sondern ihren Geist, nicht die Gesetzestexte, sondern die Großzügigkeit von Gottes Liebe.“ (in: Die Zeit vom 29.10.2015, S. 60).