Blue Card. Eine Perspektive für die schnelle Anerkennung von Flüchtlingen?
- FB 01 – Kultur- und Sozialwissenschaften
- Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien
- 13.11.2015
- Die Medien berichten tagtäglich darüber, dass Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa zu Tode kommen, dass der Weg lang, beschwerlich und teuer ist. Da liegt es nah, über alternative und sichere Zugangswege nachzudenken. So schlägt der Bürgermeister der griechischen Insel Lesbos vor, eine reguläre Fährverbindung von der Türkei einzurichten. Ein Teil der Fliehenden ist gut ausgebildet – könnte also die „Blue Card“ der EU solch ein sicherer Weg sein? Die „Blaue Karte EU Deutschland“ (kurz: „Blue Card“) ist ein 2012 in Deutschland eingeführter legaler Aufenthaltstitel für Angehörigen von EU-Drittstaaten zum Zwecke der Erwerbstätigkeit. Dazu muss ein anerkannter Hochschulabschluss vorliegen. Deutschland hat damit die sogenannte Hochqualifizierten-Richtlinie der Europäischen Union umgesetzt, nach der für diese Personengruppe legale Möglichkeiten der Erwerbstätigkeit geschaffen werden sollen. Das klingt so, als wenn dieser Aufenthaltstitel für akademisch gebildete Flüchtlinge eine gute Sache sei. Dem ist aber aus mehreren Gründen nicht so: Erstens: Für die Blue Card müsste bei den zuständigen Auslandsvertretungen ein Visum beantragt werden. Dass dies fast ein Ding der Unmöglichkeit ist, zeigt das Beispiel eines anderen legalen Weges nach Deutschland, die Familienzusammenführung. Auch diese muss über die deutschen Auslandsvertretungen beantragt werden. In Istanbul beträgt aktuell die Wartezeit auf einen Erstvorsprachetermin 16 Monate (!). Aus Verzweiflung wählen viele Familien während dieser ungewissen Wartezeiten den gefährlichen Weg über das Meer. Zweitens: Die Einkommenshürden. Die wenigsten NOZ-Lesenden würden sich für eine Blue Card qualifizieren. Es muss ein Arbeitsvertrag mit einem Bruttojahresgehalt in Höhe von mindestens 48.400 Euro (4.034 Euro monatlich, etwa 2.200 Euro netto) vorgewiesen werden. In sogenannten Mangelberufen (Naturwissenschaft, Ingenieursberufe, Ärzte, IT) ist dieser etwas niedriger mit 37.752 Euro angesetzt. In dieser Gehaltsklasse bewegen sich in Vollzeit angestellte promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Universitäten. Drittens: Es muss zur Beantragung ein Arbeitsvertrag vorliegen. Es ist sehr unwahrscheinlich ein Arbeitsangebot vorlegen zu können, ohne jemals in Deutschland gewesen zu sein und Arbeitserfahrungen und Kontakte gesammelt zu haben. Kein Wunder, dass 2014 nur 4.673 neu eingereisten Personen die Blue Card für Deutschland erteilt wurde. Viertens: Die Blue Card ist befristet auf die Laufzeit des Vertrags bzw. maximal vier Jahre. Die meisten Flüchtlinge werden aber nach dieser Zeit nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren können oder wollen. Vielmehr muss sich die deutsche Gesellschaft darauf einstellen, dass ein Großteil der Flüchtlinge (lange) bleiben wird. Aus diesen Gründen sind für die Gewährleistung eines sicheren Zugangs nach Europa sowie zur Arbeitsmarktintegration der Geflohenen andere Antworten als die Blue Card nötig.