Große Geheimnisse. Wie wandlungsfähig sind Neutrinos?
- 13.11.2015
- „Sehr geehrte radioaktive Damen und Herren, ich habe etwas Schreckliches getan: Ich habe ein Teilchen postuliert, das nicht detektiert werden kann.“ So beginnt Wolfgang Pauli 1930 einen Brief. Es geht um Neutrinos: Man kann sie nicht sehen und sie verursachen fast nie irgendetwas, das man sehen kann. Fantastische Anzahlen von ihnen durchqueren dauernd völlig „reibungslos“ den ganzen Erdball. Ihre Existenz wird eigentlich nur indirekt von bestimmten radioaktiven Zerfällen nahegelegt, aus denen Neutrinos kleine Energiemengen mitnehmen. Ohne die Neutrinos wäre der Verbleib dieser Energiemengen komplett rätselhaft. Um Neutrinos dennoch direkt nachzuweisen, macht man Folgendes: Man nimmt einen ca. 40 x 40 x 40 Meter großen Wassertank und platziert ihn tief in einem Bergwerk, damit alles außer Neutrinos draußen bleibt. Trifft ein Neutrino beim Flug durch diesen Tank auf einen Atomkern eines Wassermoleküls, erzeugt es manchmal ein geladenes Elementarteilchen. Dieses ist, wie das Neutrino selbst, schneller als Licht in Wasser (allerdings nicht schneller als Licht in Vakuum!). Anders als das ungeladene Neutrino, verursacht das geladene Elementarteilchen eine Art optischen „Überschallknall“, eine sehr schwache Leuchterscheinung, die sich in Richtung des ursprünglichen Neutrinos im Tank ausbreitet. Zu ihrer Detektion bedeckt man die ganze Tankhülle mit nach innen gerichteten Kameras. Diese machen nun ab und zu ein „Foto“, dem man entnehmen kann, dass ein Neutrino durch den Tank geflogen ist, und in welcher Richtung. Die meisten Neutrinos, welche die Erde durchdringen, stammen aus Reaktionen in der Sonne. Man kann abschätzen, wie viele das sein sollten. Experimente, wie oben beschrieben, fanden aber immer nur circa ein Drittel der erwarteten Neutrinos. Wo war der Rest? Antwortvorschläge gab es viele, für das „Herausfiltern“ des Korrekten wurde dieses Jahr der Physik-Nobelpreis verliehen. Bekannt waren und sind drei Neutrinos: Elektron-, Myon- und Tauon-Neutrino. In der Sonne werden praktisch nur ElektronNeutrinos erzeugt, also konzentrierte man sich zunächst ausschließlich auf deren Detektion. Um 2001 versuchte ein Team, alle Neutrinosorten zu detektieren und siehe da, es waren insgesamt so viele wie erwartet. Das legt den Schluss nahe, dass sich die Elektron-Neutrinos auf ihrem Weg von der Sonne irgendwie in andere Neutrinos umwandeln. Nach der Quantentheorie kann ein Objekt im Laufe der Zeit auch grundlegende Eigenschaften ändern, so wie aus Uran irgendwann Blei wird. Voraussetzung dafür ist allerdings eine „Energieunschärfe“, ein System mit absolut bestimmter Energie kann sich nicht verändern. Damit aus einem Elektron-Neutrino zum Beispiel ein Myon-Neutrino wird, müssen also beide Energien unscharf sein, was hier bedeutet, dass ihre Massen unscharf sind. Das aber impliziert überhaupt endliche Neutrinomassen. Sehr überraschend: Bisher galten alle Neutrinos als präzise masselos.