Deutsche Rüstungsexporte. Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten?
- FB 01 – Kultur- und Sozialwissenschaften
- Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien
- 11.11.2016
- Deutschland ist Europameister im Rüstungsexport. Da scheint der Zusammenhang intuitiv: Der Export von Waffen in Kriegs- und Krisengebiete führt zu steigenden Flüchtlingszahlen. Um es vorwegzunehmen: Ich teile die Einschätzung, aber es ist etwas komplizierter – und Flucht ist immer auch ein multikausales Phänomen. Es ist nötig, längere Zeiträume und „Umwege“ der Waffen in den Blick zu nehmen. In Deutschland beschränken Regeln den Rüstungsexport: Das Grundgesetz legt die Genehmigungspflicht fest, kriegstaugliche Waffen herzustellen, zu befördern oder in den Verkehr zu bringen. Das Außenwirtschaftsrecht sieht vor, dass der Bundestag keine Exportgenehmigung in Länder ausstellen solle, die „in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht“ (siehe Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2000) und die Menschenrechtslage zu beachten sei. Das klingt nach einem Bewusstsein ob der Probleme des Rüstungsgeschäfts. Und in der Tat, die Rüstungsexportberichte der Bundesregierung führen kaum direkte Exporte in Kriegsgebiete auf. Im Folgenden möchte ich jedoch vier „Aber“ benennen: Das Problem Waffenhandel an sich. Deutsche Waffen werden trotz Selbstbeschränkungen an Länder in Krisensituationen beziehungsweise mit kritischer Menschenrechtslage exportiert. So wurden 2012, also zur Zeit der Niederschlagung des „Arabischen Frühlings“, legal Waffen nach Ägypten, Algerien, Libyen, Marokko, Saudi Arabien, in die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate exportiert. Noch im ersten Halbjahr 2014 wurden an Syrien – also an das Assad-Regime – Rüstungsgüter in Höhe von 850.000 Euro geliefert. Problem Endverbleib. Waffen halten lange und werden aus früheren Konflikten in aktuellen Konflikten verwendet. Noch heute nutzt Assad Panzerabwehrraketen vom Typ MILAN, die 1978 in deutsch-französischer Kooperation dorthin geliefert wurden. Oder die 2014 offiziell an die kurdische Peschmerga gelieferten Waffen, die nun teils durch Eroberung kurdischer Gebiete oder über informelle Märkte in der Hand des IS sind. Problem Lizenzproduktion. Es geht nicht nur um direkten Waffenexport, sondern auch darum, dass Lizenzen zur Waffenproduktion an Länder vergeben werden, die die Waffen weiterverkaufen. Auf Bildern sind IS-Kämpfer mit „deutschen“ Waffen aus der Lizenzproduktion aus Saudi-Arabien und Pakistan zu sehen. Auch die Lizenzproduktionen fallen unter die Genehmigungspflicht. Aber die Kontrolllücken sind eklatant, und illegale Weiterverkäufe ein lukratives Geschäft. Problem mangelnde Sanktionen. Bei Verstößen gegen zum Beispiel die Endverbleibskontrolle lautet die Sanktion lediglich die Einstellung weiterer Lieferungen. Zurück zur Frage: Die über Jahrzehnte genehmigten Exporte an autoritäre Regime sowie die Lizenzproduktion von Kleinwaffen haben dazu geführt, dass diese massenhaft verfügbar sind. Und Kriege sind immer noch ein entscheidender Faktor, warum Menschen fliehen müssen; so etwa in den wichtigen Asylherkunftsländern Syrien, Irak und Afghanistan. Die breit geforderte Bekämpfung von Fluchtursachen müsste also konsequenterweise das Verbot (und dessen Durchsetzung) von Rüstungsexporten in viele Länder, wenn nicht gar generell, bedeuten.