Gefangen im Kelch. Mit welchen Tricks überlisten Pflanzen Tiere?
- 17.11.2017
- Tiere suchen Futter und die Pflanzen zeigen ihnen mit ihren Blütenformen, -farben und -düften, wo sie dieses finden. Vor allem den zuckerreichen Nektar suchen die Tiere. Manche fressen dazu noch den Pollen (Blütenstaub) oder tragen ihn, wie die Honigbiene, als Futter für die Nachkommen in die Nester. Nicht nur Insekten, sondern auch Vögel, Fledermäuse und sogar Kleinsäugetiere machen von dieser Futterquelle Gebrauch. Eine zielgerichtete Pollenübertragung wird durch die spezifischen Blütenmerkmale garantiert. Denn es nützt den Pflanzen nichts, wenn der Blütenbesucher von der Schlüsselblume zum Löwenzahn und zum Vergissmeinnicht fliegt, denn der Pollen ist für jede Pflanzenart spezifisch. Gräser, viele Laubbäume (Birke, Hasel) und Nadelbäume vertrauen die Pollen dem Wind an. Ihr Pollen enthält wenig Nahrungsstoffe, ist leicht, fliegt gut, und wird in großen Mengen produziert (Pollenallergie, Schwefelregen). Die Anlockung der Bestäuber, die als Vehikel benutzt werden, erfolgt oft sehr raffiniert: Aasblumen locken Fliegen mit dem Geruch verwesenden Fleisches, viele Orchideen täuschen Beutetiere oder Weibchen vor. Neuere verhaltensbiologische Versuche haben sogar gezeigt, dass Insekten, wenn sie zu oft enttäuscht wurden, lernfähig sind. Dies bedeutet aber, dass die Täuschstrategien nur durch immer neue Veränderungen – hervorgerufen durch Zufallsmutationen – erfolgreich bleiben. Dies ist auch eine Ursache für die große, in der Gruppe der Blütenpflanzen auftretende Artenvielfalt. Durch Co-Evolution wurden auch die Insekten zu einer äußerst artenreichen Gruppe mit extremen Spezialisierungen. Das hat Darwin schon am Beispiel des immer länger werdenden Insektenrüssels der Darwin- Motte und dem eineinhalb Fuß langen Blütensporn der Orchidee Angraecum sesquipedale, der Darwin-Orchidee, eindrucksvoll gezeigt. Das Bewusstsein, dass das Ökosystem und die Erhaltung der Biodiversität auch für uns einen nicht zu unterschätzenden Geldwert haben, schlägt sich darin nieder, dass sich die erste Resolution, herausgegeben vom internationalen Panel für die Bewertung von Biodiversität und Ökosystemen IPBES (https://www.ipbes.net/), mit der Frage der Bestäuber im Zusammenhang mit unseren Nutzpflanzen befasst. Hier wurden unzählige wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema Bestäubung auf über 500 Seiten ausgewertet, sodass wirtschaftliche Folgen von Eingriffen in Ökosysteme, zum Beispiel durch das Management der Agrarlandschaften, ermittelt und bei zukünftigen politischen Entscheidungen berücksichtigt werden können. Eine Orchidee, die Bereitschaft zum Sex mit einem Hummelmännchen vortäuscht, oder andere Täuschungsmanöver, die Pflanzen benutzen, um ihre Bestäuber anzulocken, sind dann beileibe nicht mehr ein Thema für Liebhaber, sondern ein Mosaikstein in der Komplexität unseres Ökosystems. Dies betrifft ganz zentral die Produktion unserer täglichen Nahrung. Und der Insektenschwund in Mitteleuropa ist bereits alarmierend!