Schrumpfende Gemeinden. Warum verlieren die Kirchen eine halbe Million Christen im Jahr?
- 17.11.2017
- In das diesjährige Sommerloch platzte die dpa-Meldung: „Die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland haben 2016 im Vergleich zum Vorjahr erneut über eine halbe Million Mitglieder verloren.“ Mit dieser Dynamik, die in den letzten Jahren zu verzeichnen gewesen war, ist es dann wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis die Kirchen verschwinden? Das wohl eher nicht! Die in den letzten Jahren zu verzeichnende Austrittswelle, wesentlich verantwortet durch die Skandale in der katholischen Kirche in Deutschland, den Missbrauchsskandal und den Skandal um den damaligen Bischof von Limburg um gigantische Geldverschwendung, ist abgeebbt. 2016 kehrten circa 162.000 Menschen der römisch-katholischen Kirche und 190.000 Menschen der evangelischen Kirche den Rücken. Einen Mitgliederverlust von einer halben Million Christen im Jahr erklären diese Kirchenaustritte jedenfalls nicht. Wie stellt sich die Situation der beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland statistisch gegenwärtig dar? Ende 2015 gehörten noch knapp 57 Prozent der deutschen Bevölkerung einer der beiden christlichen Kirchen an, Mitte dieses Jahres waren es (nur) noch 55 Prozent der Bevölkerung, 2005 aber noch mehr als 62 Prozent. Knapp 22 Millionen gehören den zur EKD gehörenden protestantischen Kirchen an, etwa 23,5 Millionen sind Katholiken. Der Anteil der Konfessionslosen liegt seit Jahren stabil bei etwa 30 Prozent, in Ostdeutschland allerdings bei über 70 Prozent. Nur etwa vier bis fünf Prozent der Bevölkerung sind Muslime, zwei Prozent Orthodoxe oder Angehörige der christlichen Freikirchen. 0,1 Prozent sind Juden, 0,1 Prozent Hinduisten, 0,3 Prozent Buddhisten, dazu gibt es eine Vielzahl sehr kleiner Religionsgemeinschaften. Viele Privilegien, die die Kirchen bis heute genießen, so zum Beispiel die Kirchensteuer oder Artikel 7 des Grundgesetzes, sind ohne die Tatsache, dass nach Kriegsende die deutsche Bevölkerung fast vollzählig aus Mitgliedern einer der beiden christlichen Großkirchen bestanden hat, nicht zu verstehen. Wenn ein massenhafter Auszug aus den christlichen Kirchen also nicht (mehr) zu verzeichnen ist, die Zahl der Taufen in beiden Kirchen sogar wieder leicht steigt, woran liegt der gravierende Mitgliederschwund? Er ist vor allem dem demografischen Wandel geschuldet: Gegenwärtig stirbt die letzte volkskirchlich geprägte Generation, die noch ganz selbstverständlich entweder katholisch oder evangelisch war (im letzten Jahr allein in der evangelischen Kirche 340.000 Christen). Für die Kirchen wird entscheidend sein, ihren Ort in der religiös pluralen Gesellschaft neu zu bestimmen, sich von vertrauten Formen der flächendeckenden Präsenz in Gemeinden zu verabschieden und das Evangelium engagiert einzubringen. Dann dürfen sie sich auch in Zukunft auf die Zusage Jesu verlassen: „Ich bin bei euch alle Tage, bis zum Ende der Welt!“.