Schulnoten, Wettkampf oder Casting-Show. Ist Konkurrenzdenken gut oder schlecht?
- 17.11.2017
- Konkurrenz ist ein Phänomen, dem wir eher früher als später begegnen. Schon als Kinder konkurrieren wir mit unseren Geschwistern um die Aufmerksamkeit der Eltern. Oder mit den Spielkameradinnen um den Platz auf der Schaukel. Dass wer zuerst kommt, zuerst „mahlt“ (oder zuerst schaukelt), dass die Konkurrenz nicht schläft und dass den Letzten die Hunde beißen, sind Lektionen, die wir schon in jungen Jahren erlernen. Sie halten uns dazu an, uns mit anderen zu vergleichen. Denn um in einer Konkurrenzsituation zu bestehen, müssen wir nicht gut sein, sondern nur besser als unsere Mitbewerberinnen. Der Witz von den zwei Jägern, die von einem Bären verfolgt werden, macht das anschaulich: Der hungrige Bär ist eben erst aus dem Winterschlaf erwacht und wirft sich gegen die Tür der Jagdhütte. Sie wird jeden Moment nachgeben. Einer der Männer zieht sich eilig seine Sportschuhe an. Der andere ist irritiert: „Was machst Du da? Glaubst Du allen Ernstes, Du könntest schneller laufen als ein Bär?“ „Nein“, sagt der Angesprochene. „Aber das muss ich auch nicht. Ich muss nur schneller sein als Du.“ Das ist ein Paradebeispiel für Konkurrenzdenken und es scheint in dieser Situation durchaus von Vorteil. Aber auch unter weit weniger dramatischen Umständen können wir ihm einiges abgewinnen. Konkurrenz belebt das Geschäft, heißt es. Der Wettstreit mit anderen treibt uns zu Höchstleistungen. Weil wir gewinnen oder jedenfalls nicht verlieren wollen, strengen wir uns an und holen das Beste aus uns heraus. Konkurrenzdenken gilt als ein wirkmächtiger Motivationsfaktor, gleichsam als das Öl im Motor persönlichen und gesellschaftlichen Fortschritts. Ist Konkurrenzdenken also etwas Gutes? In dieser Allgemeinheit ist das sicher falsch. Damit Konkurrenz motivieren kann, muss jeder eine faire Chance haben, zu gewinnen. Warum sollte ich mich anstrengen, wenn im Wettstreit um Studienplätze, Lehrstellen oder bezahlbare Wohnungen ohnehin die gewinnen, die „bildungsnahe Eltern“, einen deutschklingenden Nachnamen oder genügend Geld für die Kaution haben? Wer auf verlorenem Posten kämpft, ist bestenfalls ein tragischer Held, und der Hase, der im Wettstreit mit dem Igel (und dessen Frau) nur verlieren kann, sich aber dennoch die Zunge aus dem Hasenhals rennt, erntet Spott statt Anerkennung. Doch selbst wenn der Wettkampf fair ist, hat Konkurrenzdenken mindestens zwei Nachteile: 1. Es verhindert, dass wir kooperieren, und ermöglicht individuellen Erfolg oft nur auf Kosten des Gesamtwohls. Manchmal ist der Kampf mit dem Bären nämlich durchaus zu gewinnen, aber eben nur, wenn wir ihn mit vereinten Kräften führen. 2. Konkurrenzdenken ufert schnell aus, und leitet uns bald auch da, wo wir konkurrenzlos sind und sein sollten, nämlich in der Gestaltung unseres eigenen Lebens. Der amerikanische Schauspieler Marlon Brando hat das in der Sprache des Konkurrenzdenkens einmal so formuliert: „Nur, wer seinen eigenen Weg geht, kann von niemandem überholt werden.“