Pop und Provokation. Wo endet die Freiheit der Kunst?
- 15.11.2019
- Es war der Musikskandal des Jahres 2018: die Verleihung des Echo Pop-Preises an die Rapper Kollegah und Farid Bang für ihr Album „Jung, brutal, gutaussehend 3“. Mit dem Preis würdigte die Deutsche Phonoakademie nicht die Qualität, sondern den großen Verkaufserfolg des Albums. Erst die Reaktionen anderer Preisträger und der Presse machte den Verantwortlichen bewusst, dass sie damit Musikstücke auszeichneten, deren Texte Gewalt verherrlichen, Auschwitzopfer verhöhnen und Frauen erniedrigen. Nun gehört der Skandal zum Popbusiness nicht erst seitdem Elvis sein Becken kreisen ließ; und das „Dissen“, das heißt das Beleidigen, ist ein typisches Stilmerkmal des Gangster-Rap. Doch die Frage stellt sich zu Recht: Wo und wann sind die Grenzen erreicht? Eine grundsätzliche Antwort gibt uns das Grundgesetz in Artikel 5, in dem das Menschenrecht der Meinungsfreiheit und seine besondere Form, die Kunstfreiheit, behandelt werden: „Eine Zensur findet nicht statt.“ Das Grundgesetz regelt allerdings auch, dass diese Freiheit ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze findet, das heißt zum Beispiel in den Paragrafen des Strafgesetzbuches zu Volksverhetzung und Leugnung der Verbrechen des Nationalsozialismus, zu Gewaltdarstellung, Propaganda für verfassungswidrige Organisationen, Pornografie und Beleidigung. In den letzten Jahren haben deutsche Gerichte häufig zugunsten der Meinungs- und Kunstfreiheit entschieden und die Grenzen des strafrechtlich Relevanten eher hoch gesetzt, wie es etwa der Fall des Schmähgedichtes von Jan Böhmermann gegen den türkischen Präsidenten zeigt. Etwas anderes ist der Jugendschutz. Hier entscheidet die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM). Die Grenzen, die die BPjM setzt, sind niederschwelliger. Sie betreffen zum Beispiel die Verletzung der Menschenwürde, Diskriminierung von Menschengruppen (etwa Frauen, Schwule, Menschen mit Behinderung), Verherrlichung des Nationalsozialismus, aber auch von Drogen- und Alkoholkonsum. Die Entscheidungsgremien der BPjM sind mit Repräsentanten verschiedener gesellschaftlicher Gruppen besetzt wie der Kirchen und der Jugendhilfe, aber auch die Musikproduzenten haben hier eine Stimme. Setzt die BPjM ein Album auf den Index, ist es damit nicht grundsätzlich verboten. Es muss aber sichergestellt werden, dass es nicht in die Hände von Jugendlichen und Kindern gerät. In Zeiten des Internets führt die BPjM allerdings einen aussichtslosen Kampf. Das Album von Kollegah und Farid Bang wurde erst Monate nach der Veröffentlichung auf den Index gesetzt. Da hatte es sich längst über 200.000 Mal verkauft. Und bis heute sind die als jugendgefährdend eingestuften Titel problemlos auf YouTube anzuhören. Der Fall „Jung, brutal, gutaussehend 3“ zeigt allerdings auch vorbildlich, wie in einer demokratischen Gesellschaft Grenzen gesetzt werden sollten. Nicht durch die Einführung einer Zensur, denn das wäre das Ende der Kunst und der Demokratie gleich mit, sondern durch einen öffentlichen, streitbar geführten Diskurs aller Beteiligten. Im Umfeld der Echo-Verleihung hatten Journalisten und prominente Musikerinnen und Musiker deutlich gemacht, dass für sie hier eine Grenze überschritten worden ist. Sie hatten die Verantwortlichen der Musikindustrie zum Handeln gezwungen und die Rapper zum Nachdenken. In einer Demokratie ist es die Aufgabe aller, genau hinzuhören und öffentlich auszuhandeln, wo die Grenzen des Sag und Machbaren verlaufen.