Corona-Pandemie. Hat sich der Blick auf die Wissenschaft verändert?
- 13.11.2020
- Wenn ein Thema wie die Corona-Krise unser aller Leben derartig stark berührt, wie wir es derzeit erleben, ist der Druck, eine Lösung zu finden, hoch. Selten waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler medial so präsent. Selten wurden sie jedoch auch so kontrovers dargestellt. Der Grund liegt vielleicht in der Wissenschaft an sich. Der weithin anerkannte Soziologe Karl Popper beschreibt den Erkenntnisweg idealtypisch wie folgt: Aus einer Beobachtung erwächst eine Hypothese. Kontrollierte Forschungsmethoden erlauben es, Ergebnisse auf die Ausgangshypothese zurückzuführen und diese zu stützen oder zu widerlegen. Hypothesen müssen viele Male durch Untersuchungsergebnisse gestützt werden, bevor sie zu einer gesicherten Erkenntnis werden. Ein langwieriger Prozess. Schneller geht es manchmal, wenn eine Hypothese widerlegt werden muss, denn dann muss eine neue Hypothese her. Die wissenschaftliche Erkenntnis nimmt dadurch weiterhin zu, manchmal sprunghaft. Forschung und wissenschaftlicher Erkenntnisweg leben vom fachlichen Diskurs, divergierenden Positionen und Interpretationen, dem Pro und Contra und, vor allem, der immer wieder neuen kritischen Prüfung von Befunden. Diese Komplexität ist nicht immer für die Öffentlichkeit nachvollziehbar oder sie wird missverstanden. Der Unterschied zwischen gesichertem Wissen und noch offenen Fragen wird in den Medien bisweilen unzureichend reflektiert. Attacken wie die der Bild-Zeitung auf den Virologen Christian Drosten, die das Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft unterminieren, verzerren den Blick auf die Forschung. Aber warum geschieht so etwas? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden während der Pandemie verstärkt in den gesellschaftlichen Verteilungs- und Meinungskampf involviert. Es ist aber nicht die Aufgabe der Wissenschaft, politische Entscheidungen zu fällen, sondern Erkenntnisse gesellschaftlich verfügbar zu machen, und zwar so, dass Handlungsempfehlungen aus ihnen abgeleitet werden können. Dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für politische Entscheidungen verantwortlich gemacht, persönlich angegriffen und bedroht werden, ist nicht hinnehmbar. Glaubwürdigkeitsverlust von Expertenwissen, der sich – befördert von einzelnen politischen Akteuren – in Verschwörungstheorien niederschlägt, ist gefährlich. Ein Beispiel: Die Anzahl der positiv getesteten Personen ist ein wichtiger Indikator für die weitere Entwicklung der Krankheitsfälle. Es gibt starke wissenschaftliche Modelle, die uns sagen können, wie groß der Anteil der morgen Schwerkranken an den heute infizierten Personen ist. In den Social Media dürfen Sie nun lesen, diese Zahl sei wertlos, da die Menschen gar nicht alle krank seien. Während positiv getesteten Personen nun tatsächlich nicht alle krank sind, wird aus dieser beschreibenden Prämisse die falsche Conclusio gezogen, nämlich die, dass die Zahlen irrelevant seien. Ein gefährliches Spiel, dem wir mit unanfechtbaren wissenschaftlichen Standards und einer klaren Wissenschaftskommunikation entgegentreten müssen. Aber: Laut einer Studie des Wissenschaftsbarometers von Wissenschaft im Dialog ist das Vertrauen der Bevölkerung in Deutschland in die Wissenschaft im Kontext der Corona-Pandemie deutlich gestiegen. Fast 90 Prozent sind überzeugt, dass mithilfe wissenschaftlicher Expertise die Ausbreitung der Pandemie verlangsamt werden kann und 61 Prozent sind zuversichtlich, dass in absehbarer Zeit ein Medikament oder Impfstoff entwickelt wird. Dieses Vertrauen lässt sich auch daran ablesen, dass sich die Mehrheit der Befragten (81 Prozent) eine stärkere Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse bei politischen Entscheidungsfindungen wünscht.