KI schafft Beethovens Vollendete. Ist der Wettbewerb zwischen Mensch und Maschine entschieden?
- 13.11.2020
- Während KI-Systeme aus unserem Alltag kaum mehr wegzudenken sind, gibt es mindestens ein Gebiet menschlicher Schaffenskraft, das für Künstliche Intelligenz (KI) hermetisch verschlossen zu sein scheint, nämlich die Welt der Kreativität und insbesondere die Welt der Künste. Kreativität ist vermutlich eine derjenigen kognitiven Fähigkeiten, die wir nur dem Menschen, aber keinem Programm zuschreiben würden. Ist jetzt schließlich auch noch diese Grenze überschritten worden, als ein KI-System kürzlich Beethovens 10. Symphonie (fertig-)komponiert hat (es gab hierfür vom großen Komponisten wohl Skizzen)? Eigentlich hätte man diese Frage schon früher stellen müssen, da seit einigen Jahrzehnten Programme genutzt werden, um Musik im Stile eines bekannten Komponisten zu erzeugen: Beispielsweise hat der Amerikaner David Cope schon in den 1990er-Jahren Hunderte von Chorälen im Stile Bachs durch sein System EMI (Experiments in Musical Intelligence) komponieren lassen. Andere Beispiele sind François Pachet, der mit tiefen Netzen – eine Methode des Maschinellen Lernens – ebenfalls Bach Choräle komponieren kann, oder das System Iamus, das schon vor einem Jahrzehnt zeitgenössische Musik komponieren konnte. Es stellt sich die Frage, auf welchen Prinzipien solche artifiziellen musikalischen Erzeugnisse basieren? Eine etwas vereinfachte Antwort, die aber für die verschiedenen Ansätze allesamt mehr oder weniger gilt, ist die folgende: Die KI-Systeme rekombinieren rhythmische, melodische, harmonische und satzstrukturelle Muster und Motive, auf denen sie trainiert wurden. Diese Rekombination geschieht auf verschiedenen Zeitskalen und auf eine Weise, dass damit Kohärenz der erzeugten Musik geschaffen wird. Im Ergebnis ähnelt die entstandene Musik der Musik des jeweiligen menschlichen Komponisten. Dazu sind natürlich viele Dimensionen eines bestimmten Stils zu beachten: die Verwendung von Tonmaterialien, die Regeln der Harmonielehre, enharmonische Verwechslungen, Dynamiken, das Verhältnis von Konsonanz und Dissonanz, rhythmische Strukturen und vieles mehr. Im Prinzip sind diese Dinge schon im Musikalischen Würfelspiel vorgeprägt (Mozart war der bekannteste Komponist hierfür), das als Gesellschaftsspiel den Teilnehmenden erlaubt, aus Zufallsereignissen (Wurf von zwei Würfeln) Takte aus Tabellen zu identifizieren und diese zu kombinieren, um damit ein neues Musikstück zu komponieren. Dies kann funktionieren, weil die Tabellen eine Vielzahl von Variationen von Takten bereitstellen, für die aber zentrale Eigenschaften, wie beispielsweise die Harmoniestruktur, invariant sind. Abstrakt betrachtet (und sicherlich stark vereinfacht) sind moderne KI-Ansätze eine sehr fortschrittliche und ausgefeilte Version dieser Idee. Eine offensichtliche Frage ist hierbei: Kann aus der simplen Rekombination vorhandenen Materials überhaupt etwas Neues, etwas Kreatives entstehen, das den Namen Kunst verdient? Einerseits sind viele musikalische Beispiele eines Stils oder eines Genres sicher in vielerlei Hinsicht repetitiv und gewisse Muster wiederholen sich; andererseits schlummert in großen Werken oft etwas Kreatives, etwas Neues und vielleicht auch etwas Überraschendes. Dies durch Rekombination zu erreichen scheint mir zwar nicht unmöglich zu sein, allerdings durch die KI bewerten zu lassen, ob dieses Neue etwas ‚Großes‘ oder nur eben etwas ‚Ungewohntes‘ ist, das ist ein Problem, welches schlicht ungelöst ist und dem Menschen vorbehalten bleibt.