Generation Protest. Warum gehen junge Menschen wieder vermehrt auf die Straße?
- 12.11.2021
- Die Fridays-for-Future-Proteste sind etwas Besonderes und können nicht ausschließlich mit gängigen Modellen zur Vorhersage von Protesten erklärt werden. Ich möchte fünf besondere Merkmale nennen, die bei anderen Protesten üblicherweise nicht zu finden sind und uns helfen, zu verstehen, warum Fridays for Future eine breite Masse junger Menschen mobilisieren kann. An erster Stelle steht die Angst um den Planeten und seiner Lebewesen sowie die außerordentliche Dringlichkeit zu handeln. Die akute Bedrohung durch den Klimawandel wird immer sichtbarer zum Beispiel durch den spürbar trockenen und heißen Sommer 2018, durch Waldbrände, Überschwemmungen, Artensterben und Klimaflucht. Es gibt ein immer kleiner werdendes Zeitfenster, es muss jetzt gehandelt werden, um den Anstieg der Erderwärmung überhaupt noch in einem verträglichen Ausmaß zu halten. Zweitens besteht ein weitgehender Konsens in der Wissenschaft, dass der Klimawandel real existiert. Die Protestierende können sich also immer auf eindeutige und anerkannte wissenschaftliche Quellen beziehen und ebenfalls auf bereits ratifizierte politische Beschlüsse, wie etwa auf das Pariser Klimaschutzabkommen von 2015. Das bedeutet, sie fordern nichts Revolutionäres und vertreten keine Minderheitenmeinung, sondern bestehen „nur“ darauf, dass die Regierungen und Unternehmen die bereits bestehenden Klimaschutzabkommen einhalten. Das macht die Proteste zum einen breit anschlussfähig und selbst für solche Jugendlichen interessant, die sich sonst eher unpolitisch einordnen. Zum anderen hat es die Bewegung auch davor bewahrt, einfach diskreditiert zu werden. Drittens begannen die Proteste mit einer besonderen Aktionsform, die es bis dato nicht gab: dem Schulstreik. Obwohl es kein Streik im eigentlichen Sinn war, brachte er doch die Normalität ins Wanken, gesellschaftliche Routinen wurden unterbrochen. Und der Streik zwang Schulleitungen, Kultusministerien und auch die Eltern, sich zu dem Protest zu positionieren. Sowohl positive als auch kritische Stellungnahmen führten zu einer starken medialen Aufmerksamkeit. Zudem war das Element des Schulstreiks die ideale Voraussetzung für eine breite Mobilisierung, denn gemeinsam Normen zu brechen und etwas Provokatives und Außergewöhnliches mit Gleichgesinnten zu machen, stärkt die Identifikation mit der Bewegung. Die Bewegung hatte schnell Erfolge und es gab weltweite Schulstreiks. Teil einer solchen globalen Bewegung zu sein, führt zu Empowerment und stärkt die Wahrnehmung, dass der Klimawandel durch kollektives Handeln gestoppt werden kann. Viertens spielt die soziale Dimension dieser Proteste eine größere Rolle als bei anderen Protesten. Studien zeigen, dass die meisten Schülerinnen und Schüler über persönliche Gespräche in der Schule für den Protest mobilisiert wurden, nicht wie die Erwachsenen über Umweltorganisationen. Der Protest wurde zum sozialen Ereignis, und es bildeten sich neue soziale Normen, die eine Teilnahme selbstverständlich machten. Der tägliche Austausch mit anderen in der Schule war ein weiteres besonderes Element, das zur Kontinuität der Proteste beitrug und die Motivation der Schülerinnen und Schülern aufrechterhielt. Und schließlich gab es starke Vorbilder: Greta Thunberg hatte besonders in den Anfängen 2019 eine enorme Strahlkraft und motivierte Schülerinnen in den Protesten eine führende Rolle einzunehmen. Sie war das Rollenmodell, die allen vormachte, dass Mädchen selbstbewusst, willensstark und entschieden für ihre Ziele eintreten können.