Scherzen, Spotten, Lachen. Wie humorvoll war die mittelalterliche Hofkultur?
- 12.11.2021
- Die Fragestellerin oder der Fragesteller ist ein Schelm, könnte man sagen. Denn sie oder er muss doch wissen, dass wir eben nicht wissen, was wir wissen wollen. Denn wer schreibt schon auf, weswegen und worüber gelacht wurde. Würde ich im Mittelalter gesagt haben, ein Schelm sei, wer diese Frage gestellt habe, dann wäre das strafwürdig. Denn „Schelm“ war ursprünglich die Bezeichnung für Henker, Abdecker, Asoziale – also für Menschen, zu denen man nicht gehören wollte. Und folgerichtig wurde hart bestraft, wer jemand anderen so nannte. Worte wechseln ihre Inhalte. Das gilt auch für Humor, für Scherz, für Spott, für das Lachen. Und da steckt unser erkenntnistheoretisches wie erkenntnispraktisches Grundproblem: Wir können die Wörter lesen, aber ob wir ihre Konnotationen begreifen, das steht sehr infrage. Verstehen wir Ironie in mittelalterlichen Texten? Viel zu viele unter uns verstehen Ironie noch nicht mal in unserer Gegenwart. Was also tun? Wir suchen nach Witzen, Scherzen, Spottreimen aus früheren Zeiten und kommen selten nachweisbar bis in das Mittelalter. Stattdessen finden wir theologische Traktate über die Frage, ob Jesus gelacht habe und was das für Folgen für den mittelalterlichen Christen habe. Darf man als Christ lachen, wo der Herr nicht lachte? Die Frage ist weit mehr als ein theologisches Spiel mit dem Argument. Die Berechtigung zum Gelächter hat übrigens schon Platon beschäftigt, der viel dafür tat, das Lachen als etwas Bedenkliches anzusehen. Um ganz anderes geht es beim angeblichen Heiratsversprechen eines jungen Mannes, der der Angebeteten verspricht, Johannes werde sie heiraten. Als sie dann auf Heirat drängt, lässt er sie wissen, dass er gar nicht Johannes heiße und sie nicht zu heiraten gedenke. Sie sehen: Das ist mitten aus dem Leben gegriffen, sorgsam konstruiert von einem mittelalterlichen Juristen am Schreibpult und als Beispiel in ein Lehrbuch aufgenommen. Schluss mit lustig, könnte man sagen. Wenn wir so wenig über Scherzen, Spotten und Lachen an mittelalterlichen Höfen kennen, was wissen wir sonst über Freizeitvergnügungen dort? Karl der Große ließ sich Lieder von Helden früherer Zeiten vorsingen und muss selbst kräftig mitgesungen haben, wie überliefert wird. Unmengen Bier seien auch geflossen, weiß sein Biograf zu berichten. Spielleute, Possenreißer und Gaukler ließen manche Herrscher auftreten, rohe Gesellen zumeist, aber auch feinsinnigere. Walther von der Vogelweide war einer von ihnen, bekam einen Pelzmantel für seine Auftritte und ging in die Literaturgeschichte ein. Übrigens mit vollständig humorfreien Texten. Von den anderen wissen wir nur, dass moralsaure Herrscher sie vom Hof vertrieben. Sie mögen ihre Gründe gehabt haben. In der Messe war das Lachen kurioserweise denn doch gestattet, am Ostersonntag. Das Osterlachen war ein verbreiteter Brauch, bei dem die Gemeinde auf eine womöglich witzige, vielleicht anzügliche, jedenfalls ungewöhnliche Geschichte des Priesters mit einem befreienden Gelächter antwortete. Theologisch sollte es die Erleichterung und die Freude über die Osterbotschaft ausdrücken. Das Lachen wurde also eingepfercht: gestattet an einem Tag, unter kontrollierbaren Umständen, in einer hochgradig regulierten Umgebung. Wir Protestanten haben manches daraus gelernt, unter anderem, dass manche von uns zum Lachen in den Keller gehen. Sie sehen: Nicht alle Traditionen sind per se vernünftig.