Fleischfrei – Warum fällt es den meisten Menschen schwer, auf tierische Produkte zu verzichten?
- 22.11.2022
- Am Anfang habe ich die Frage gar nicht verstanden, weil ich selbst Veganer bin. Das heißt, für mich ist es ganz einfach und vollkommen normal mich fleischlos zu ernähren. Für viele andere ist es aber nicht normal. Man muss sich also unter anderem die Frage stellen: Was ist normal? Oder sozialpsychologisch gesprochen: Was ist soziale Norm in einer Gesellschaft? Soziale Norm in der deutschen Gesellschaft ist es, Fleisch zu essen. In Deutschland essen 90% der Menschen Fleisch. 10% essen kein Fleisch. Schauen wir uns doch einmal genauer an, warum es für manche Menschen nicht so leicht ist, auf Fleisch zu verzichten. Fleischesser*innen sind konfrontiert mit dem sogenannten Fleischparadox. Was bedeutet das? Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass Menschen die Natur und Tiere lieben. Fleischesser*innen sind aber damit einverstanden für ihren Fleischkonsum Tiere zu töten. Um das zu schaffen und diesen moralischen Konflikt zu überwinden, wenden Fleischesser*innen verschiedene Strategien zur Rechtfertigung ihres Fleischkonsums an. Im Prinzip gibt es zwei Auswege aus diesem Fleischparadox rauszukommen. Version A ist: Ich ändere mein Verhalten und ernähre mich vegetarisch oder vegan. Version B ist: Ich wende Rechtfertigungsstrategien an, um meinen Fleischkonsum zu rechtfertigen. Und diese Rechtfertigungsstrategien möchte ich jetzt einmal genauer beleuchten. Im Englischen werden sie als die four N´s of meat consumption bezeichnet. Fleischesser*innen argumentieren meistens, dass Fleisch essen nice (lecker), normal (normal), natural (natürlich) oder necessary also notwendig ist, um zu überleben und ein gesundes Leben zu führen. Schauen wir uns diese vier N`s einmal genauer an. Die vier N‘s des Fleischkonsums: Erstens: »Fleisch essen ist normal«. Dem stimme ich zu. Der Großteil der deutschen Bevölkerung, ungefähr 90% ernähren sich von Fleisch. Gerade im Land der Bratwürste und Schweinehaxen wird es schwer werden diese Überzeugung zu ändern. Ich denke, dass es ohne politische Maßnahmen und staatlich geförderte Bildungsmaßnahmen in diesem Bereich in Deutschland, sowie in vielen anderen Industriestaaten der Welt, nur schwer möglich sein wird, die Ansicht »Fleisch essen ist normal«, zu ändern. Ist unser Fleischkonsum natürlich? Dann gehen wir zum zweiten Punkt über: »Fleisch essen ist natürlich«. Dem muss ich als Biologe zustimmen, zumindest, wenn wir unser Verdauungssystem anschauen, was darauf ausgelegt ist Fleisch und pflanzliche Nahrung zu verdauen. Allerdings sollte man sich dann auch fragen wie in Deutschland Mastschweine gehalten werden. Nur als Beispiel: Alleine in Niedersachsen werden derzeit circa acht Millionen Mastschweine gehalten, das entspricht in etwa der Anzahl an Menschen, die in Niedersachsen leben. Menschen sehe ich jeden Tag. Aber wann haben Sie das letzte Mal in Niedersachsen ein Schwein gesehen? Ob die Haltung dieser Schweine »natürlich« ist, muss diskutiert werden. Gehen wir auf den nächsten Punkt ein: »Fleisch essen ist notwendig«. Aus physiologischer Sicht ist es fast vollkommen egal, welche Lebensmittel ich zum Überleben esse. Im Wesentlichen kommt es auf die Nährstoffzusammensetzung an und die Mikro- und Makronährstoffe, die ich in Tieren finde, finde ich auch in Pflanzen. Es gibt allerdings ein Vitamin, das wird wirklich nur von Tieren, eigentlich von Bakterien, produziert: Vitamin B12. Das können Pflanzen nicht herstellen. Das heißt: Veganer*innen müssen Vitamin B12 supplementieren. Nun zum letzten Punkt: »Fleisch essen ist lecker«. Aus meiner eigenen Fleischvergangenheit weiß ich, dass Hähnchenbrust, wenn ich es ohne besondere Würzung in der Pfanne anbrate eigentlich nach nichts schmeckt. Aber über Geschmack lässt sich bekanntlich auch hervorragend streiten. Wie Sie sehen, lassen sich viele der Rechtfertigungstrategien von Fleischesser*innen kritisch hinterfragen. Wenn sich aber ein Großteil der Menschen dauerhaft mit Hilfe dieser Strategien positiv selbst verstärkt, hört man mit der Zeit auf, seinen eigenen Fleischkonsum kritisch zu hinterfragen und der Verzicht auf Fleisch fällt immer schwerer. Achten Sie vielleicht beim nächsten Familienfest doch einmal darauf, ob Ihre Bekannten und Verwandten auch Argumente aus diesen vier N´s benutzen.