Computers kill the radio star? Die Zukunft der Musik
- 07.11.2008
- Musik verändert sich mit ihren Medien. Radio und Schallplatte haben die populäre Musik geschaffen. Sie machten Musik zugänglich über zeitliche und räumliche Distanzen aber auch über Grenzen der Bildung und des Einkommens hinweg und popularisierten damit auch die Kunstmusik. Das Tonbandgerät ermöglichte die Manipulation von Zeit durch die nachträgliche Bearbeitung der Aufnahme und eröffnete neue Arten des Umgangs mit Musik. Seit den 1990er Jahren entwickelte sich der Computer zum alles beherrschenden Medium. Und wieder verändert sich die Musik. Wir befinden uns mitten in einer der größten Umwälzungen, seit Thomas A. Edison 1877 die ersten Sätze in seinen Phonographen sprach. Der Computer revolutioniert Produktion, Vertrieb und Rezeption in einer Breite und Vollständigkeit, wie bisher kein anderes Medium. Preisgünstige Computerprogramme haben die Technik, die vor wenigen Jahren noch teuren Tonstudios vorbehalten war, für ein Taschengeld erschwinglich und für Laien handhabbar gemacht. Fähigkeiten im Umgang mit Software und im Programmieren lösen das Beherrschen konventioneller Musikinstrumente ab; das Zusammensetzen eines Stücks aus gesampleten Tracks, aus Abschnitten anderer Stücke, ersetzt das Komponieren auf der Basis von Melodik, Rhythmik und Harmonik. Das MP3-Format revolutionierte nicht nur den Vertrieb von Musik über das Internet und die Strukturen der Musikindustrie durch legale und illegale Tauschbörsen. Es verändert auch die Hörgewohnheiten: Musik wird immer stärker komprimiert, so dass Kritiker den Untergang der "high fidelity" und einen "war of loudness" nahen sehen. Das Internet hat neue Formen des Vertriebs und der Verbreitung hervorgebracht. YouTube und MySpace ersetzen Videosender und Fanbetreuung. Mit den schwindenden Margen in der Tonträgerproduktion blühen Lifekonzerte als Geschöftsfeld wieder auf. Es ist zu erwarten, dass Computer auch die Hörgewohnheiten verändern werden. Ansprüche an die Klangqualität scheinen nicht weiter zu wachsen. Das Album verliert an Bedeutung. Das Internet liefert mit seinen auf individuelle Bedürfnisse einstellbaren Radioprogrammen eher Zusammenstellungen musikalisch ähnlicher Songs als Stücke derselben Band. Kategorien, Zusammenhänge und Historizität verwischen, wenn in Musik-Downloads unter dem Suchwort "Beethoven" Stücke mit Interpreten wie Chuck Berry, den Eurythmics und Daniel Barenboim nebeneinander erscheinen, wenn Elvis Presley neben Elvis Costello und Elvis Crespo steht und Songs der 1950er neben solchen von 2008. Das Internet ermöglicht jedem, wo auch immer auf der Welt, ob musikalisch begabt oder nicht, mit geringen Kosten und geringem Know-how ein globales Publikum zu erreichen. Computers kill the radio star. Wie sieht die Zukunft der populären Musik aus: Demokratisch, vielfältig, multimedial und kreativ oder beliebig, global einheitlich, unübersichtlich und langweilig? Alles ist möglich, alles womöglich.