Sprachgebrauch. Warum wird immer alles schöngeredet?
- 13.11.2009
- Man sagt ja heute zum Beispiel Farbiger oder Afrodeutscher statt Neger, Mensch mit Migrationshintergrund statt Ausländer oder Mensch mit Handicap statt Behinderter. Es gibt viele weitere Beispiele. Zum Beispiel auch »Präkariat« statt »Unterschicht« oder auch »ArbeitnehmerInnen« statt »Arbeitnehmer«. Meine Frage: Wie entstehen solche Wortschöpfungen »EUPHEMISMUS«, wer entscheidet darüber welche Wörter künftig bevorzugt gesagt und geschrieben werden sollen (Politiker? Medien? Professoren? Kirche?) und bringen sie den Betroffenen tatsächlich etwas, zum Beispiel weniger Diskriminierung? Oder ist es nur Augenwischerei, damit die Gesellschaft ein ruhiges Gewissen hat, während weiter Leute diskriminiert werden? Sprache hat ganz viele unterschiedliche Funktionen. Mit ihr können wir Dinge beschreiben, wir können etwas über uns selbst sagen oder auch auf Menschen einwirken. Und Sprache kann tatsächlich verletzen. In manchen Fällen haben Wörter ihre Bedeutung verändert oder sind durch äußere Einflüsse mit etwas verbunden worden, was nun auf die ursprünglich neutralen Begriffe abfärbt. So ist rein theoretisch nichts schlimmes an einem Ausdruck wie »Obersturmbannführer« – aber es ist wohl offensichtlich, dass man diesen Dienstgrad heute niemandem mehr verleihen kann. In manchen Fällen sind es die Bezeichneten selbst, die einen bestimmten Begriff ablehnen oder einfordern. »Eskimo« beispielsweise ist ein Schimpfwort und bedeutet »Rohfleischesser«. Die Menschen nennen sich selber lieber »Inuit« (dass heißt »Mensch«) und möchten auch so bezeichnet werden – verständlicherweise. Nach dem Missbrauch des ursprünglich neutralen Begriffes »Zigeuner« durch die Nazis möchten diese heute in der Regel eher als »Sinti und Roma« bezeichnet werden. Ganz ähnlich verhält es sich mit vielen weiblichen Endungen, die nicht zuletzt im Zuge des Feminismus von Frauen eingefordert worden sind. Man kann sich ja testweise den umgekehrten Fall vor Augen führen. Statt »Flugbegleiter« und »Krankenpfleger« hießen die männlichen Berufe dann auch »Stewardess« und »Krankenschwester«. Am Beispiel Stewardess kann man auch gut sehen, was Bezeichnungen implizieren können. Der Begriff wurde abgelöst durch »Flugbegleiterin«, da dies der Tätigkeit eher entspricht. Und dass ein Wort wie »Saftschubse« beleidigend ist, leuchtet jedem ein. Hier und da treibt dieses Bemühen jedoch auch interessante Blüten: »Mitgliederinnen« ist in jeder Hinsicht Blödsinn. In vielen Fällen findet so eine Umbenennung zunächst in offiziellen Kontexten wie zum Beispiel Gesetzen und Firmenunterlagen statt und verbreitet sich von hier aus inden allgemeinen Sprachgebrauch. Die Medien spielen hierbei natürlich auch eine große Rolle. Etwas anders verhält es sich möglicherweise bei bestimmten neuen Verwendungen wie zum Beispiel »Prekariat«. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Soziologie und wird dort als Fachausdruck für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe (interessanterweise nicht exakt die Unterschicht!) verwendet. Es ist zu vermuten, dass er entweder über eine Art pseudo-witzige Verwendung in diesen neuen Gebrauch gerutscht ist, oder durch den Versuch einen Begriff zu finden, der im Gegensatz zu »Unterschicht« nicht mit bestimmten negativen Assoziationen verbunden ist. Hinsichtlich der »Wirksamkeit« des neuen Sprachgebrauchs lässt sich zunächst festhalten, dass die neuen Begriffe erst einmal angenommen werden müssen. Zum zweiten ist natürlich klar, dass alleine die Umbenennung in der Regel noch nicht viel bewirkt, obwohl man auch sagen kann, dass gerade in der NS-Zeit durch die Verwendung neuer Vokabeln viel Gedankengut transportiert wurde – ähnliches finden wir ja auch in Orwells 1984. Was hier negativ geschah, lässt sich ja auch vielleicht im Positiven nutzen. Ein viel wichtigerer Punkt ist aber, dass die heutigen Umbenennungen die Wahrnehmung der Sprachgemeinschaft schärfen und den öffentlichen Diskurs über die jeweiligen Probleme anregen können. Und dies ist meines Erachtens viel wichtiger, als die bloße Umbenennung. Als Faustregel muss aber dennoch gelten, Menschen, Zustände und Dinge so zu benennen, wie die Betroffenen es sich wünschen.