Schönberg, Cage, Stockhausen: Warum überfordert "neue" Musik viele Zuhörer?
- 13.11.2009
- Wenn »neue Musik« in Verbindung mit Schönberg, Cage und Stockhausen gebracht wird, dann ist nicht Rock, Pop, Jazz gemeint, sondern die oft atonale Kunstmusik des 20. Jahrhunderts, also zeitgenössische »ernste« Musik. Arnold Schönberg erfand 1923 die Zwölftontechnik, um die Tonalität zu überwinden, er forderte die Vorherrschaft der Dissonanz und setzte die Zwölftonreihe als mathematischmusikalisches Ordnungsprinzip ein. John Cage stellte das Kunstwerk selbst in Frage, zum Beispiel mit dem 1952 uraufgeführten Klavierstück 4 minutes 33 seconds, das keine einzige Note enthält, so dass auch ›nichts‹ gespielt wird. Karlheinz Stockhausen suchte 1953 elektronisch das Atom jedes Klangs, den Sinuston, um neuartige Klangwelten synthetisch aufzubauen. Alle drei haben als ›Musikrevoluzzer‹ den künstlerischen und musikwissenschaftlichen Diskurs stark beflügelt. Stockhausens Klangexperimente motivierten beispielsweise die Gruppe Kraftwerk zur Kreation elektronischer Popmusik. Cages Ideen inspirierten die amerikanische minimal music eine tonale, von loops und patterns geprägte Musik, die kunstvoll und dennoch leicht verständlich ist. In der Frage geht es um die Verständlichkeit »neuer Musik«. Die Form in der Musik trachtet nach Fasslichkeit, sagte selbst Schönberg. Früher wurden musikalische Neuerungen nach einiger Zeit vom Publikum »begriffen«. Über Bachs dissonante Harmonien hatten sich Zeitgenossen noch beschwert und Beethovens späte Streichquartette entschuldigte man mit der Schwerhörigkeit des Meisters. Später erkannte man jedoch die kompositorische und ästhetische Perfektion dieser Werke. Folglich hoffen moderne Komponisten, dass ihre Musik irgendwann von einem verständigen Publikum anerkannt wird. Aber hier scheint seit der Zwölftönigkeit ein Faden gerissen zu sein. In 50 Jahren wird man meine Musik auf der Straße pfeifen, hoffte Schönberg noch. Offenkundig vergeblich. Immerhin gibt es seine Musik seit mehr als 80 Jahren. Das heutige Konzertpublikum bevorzugt nach wie vor Barock, Klassik, Romantik und die meisten Menschen hören sowieso Pop und Rock. Ist »neue Musik« noch fasslich? Überfordert die Komplexität des neutönerischen Komponierens vielleicht die musikalische Wahrnehmungsfähigkeit des Hörers? Ist die Durchhörbarkeit atonaler Strukturen noch gewährleistet? Ist alles eine Frage der (Hör-)Gewohnheit, des Erlernens, oder gibt es biologische Grenzen? Wieso bevorzugen Neugeborene schon Konsonanzen? Musikalische Präferenzen werden gewiss durch soziale Einflüsse bestimmt, die aktuelle Hirnforschung stellt aber genetische Dispositionen fest. Altbekannte Gesetze der Gestaltpsychologie werden experimentell bestätigt, warum zum Beispiel Töne als Melodie gehört werden. Dürfen also die in der Musik aller Völker zu findenden Grundelemente wie die Quinte als ordnendes Rahmenintervall oder Konsonanzen als wohlgefällige Auflösung von Dissonanzen oder tanzbare Rhythmen wirklich ignoriert werden? Um diese Fragen wird in der Fachwelt schon lange heftig gestritten, praktisch alle wichtigen Musikpsychologen äußern Bedenken gegenüber der Atonalität. Ob es biologische Grenzen für die musikalische Aufnahmefähigkeit gibt, wird sich in naher Zukunft vielleicht durch die Neurophysiologie verbindlich beweisen lassen. Zurzeit kann die Frage nicht endgültig beantwortet werden. Experimente in der Musik müssen aber möglich sein, sonst gibt es keine Weiterentwicklung und keine »neue Musik«.