Wachstum statt Rezession. Warum irren sich die Wirtschaftsweisen bei ihren Prognosen?
- 12.11.2010
- Zunächst einmal muss man sagen: So schlecht sind die Prognosen gar nicht! Die Forschungsinstitute können den Wert des Bruttoinlandsprodukts (BIP) außerordentlich gut prognostizieren, viel besser als beispielsweise das Wetter, Finanzmarktdaten, oder seltene Ereignisse wie Erdbeben. Die BIP-Prognose errechnet sich unter anderem aus Umfragen bei Unternehmen, die z.B. vom Münchner ifo Institut durchgeführt werden und ist eine solide Grundlage für die Steuerschätzung und andere Zwecke. Weil dies zu so verlässlichen Ergebnissen führt, versucht man aber auch noch die Veränderungsraten, also das Wachstum zu prognostizieren, was wesentlich schwieriger ist. Hier ist Kritik durchaus angebracht, vor allem weil von den Wirtschaftsweisen und den Forschungsinstituten, die mit der Prognose offiziell beauftragt sind, nur sogenannte Punktschätzungen publiziert werden, also exakte Werte, statt Schwankungsintervalle. Studierende der Universität Osnabrück kamen bei eigenständigen Schätzungen – einer statistischen Auswertung von historischen Daten – auf ganz ähnliche Ergebnisse. Sie konnten dabei aber zusätzlich Aussagen über die Sicherheit geben, mit denen man den Prognosen der Wirtschaftsweisen trauen kann. Die Schwankungen um die Prognose, die zwei bis drei Quartale in die Zukunft reichen, sind recht gering. Ab dem vierten Quartal, also ein Jahr in die Zukunft, waren die Prognosen jedoch nicht mehr statistisch signifikant. Das heißt, man konnte mit 95-prozentiger Sicherheit nicht einmal sagen, ob das Wachstum überhaupt unterschiedlich von null ist, obwohl der erwartete Wert für 2010 bei 3,9 Prozent lag – und damit sehr nahe bei der Prognose der Forschungsinstitute, die ein Wirtschaftswachstum von 3,5 Prozent vorausgesagt hatten. In der Volkswirtschaftslehre spielen die Probleme bei der Prognose der Wachstumsraten nur eine untergeordnete Rolle. Zentrale Fragen, zum Beispiel, wie reagiert das Bruttoinlandsprodukt auf Zinsänderungen oder Staatsausgaben, kann man empirisch sehr gut quantifizieren, auch ohne eine Prognose des gesamten BIP tätigen zu können.Eine kontrafaktische Analyse würde hier fragen: Wie groß wäre das Bruttoinlandsprodukt gewesen, wenn die Politikmaßnahme nicht durchgeführt worden wäre? Viele Fragen betreffen weiterhin nicht das BIP, sondern die Wohlfahrt eines Landes, also den Nutzen, den Konsumenten, Produzenten und der Staats aus der gesamten Produktion haben. Es kann beispielsweise möglich sein zu sagen, dass die Wohlfahrt eines Landes sinkt, wenn eine bestimmte Steuer erhöht wird, auch wenn man nicht sagen kann, ob die umgesetzte Menge dabei steigt oder fällt.