Kiss & Ride. Wie prägen Anglizismen unsere Alltagssprache?
- 12.11.2010
- »Für die Schüler ist Ski im Januar ein Abenteuer, wenn auf der Bank kein Groschen mehr ist.« Hier handelt es sich wohl um einen guten »deutschen« Satz, in dem es keine bemerkenswerte Überfrachtung mit Lehnworten gibt. Oder? So kann man sich täuschen: Praktisch alle Hauptwörter des Satzes kommen nicht aus dem Deutschen, sondern wurden entlehnt: Schüler, Januar, Abenteuer und sogar Groschen kommen aus dem Lateinischen, Bank ist ein italienisches Wort, Ski kommt aus dem Altnordischen. Würden wir hier von Überfrachtung mit Fremdworten sprechen? Allgegenwärtigen Latinismen? Vermutlich nicht. Dennoch finden wir immer wieder in der Öffentlichkeit die Debatte um Anglizismen, Lehnworte aus dem Englischen. In der Tat lassen sich einige seltsam anmutende Konstruktionen finden, oft in der Werbung und Geschäftssprache. »Kiss & Ride« ist ein Beispiel, ebenso wie das »City-Night-Line«Angebot der Bahn und Werbeslogans wie »come in and find out«. Diese Anglizismen stechen natürlich ins Auge und fallen auch dadurch auf, dass sie unnötig oder unsinnig sind. Warum nicht vom »Nachtzug-Angebot« sprechen? »Komm rein und find’s raus« wäre auch denkbar, entlarvt aber auch den groben Unfug dieser Werbebotschaft. Wir finden aber auch in der Alltagssprache viele Worte englischen Ursprungs: Event, Highlight, Pullover, Keks, Film (Movie), Stress, fit, Bar. Manche von Ihnen haben nahezu bedeutungsgleiche deutsche Äquivalente: Event und Ereignis. Bei anderen entpuppt sich die Äquivalenz doch als subtile Differenz. Ist eine Kneipe immer eine Bar? Und wem vertraut man lieber sein Geld an, dem Bankier (pardon, ein Franzismus!) oder dem Banker? In die Debatte mischen sich diverse halboffizielle Stimmen ein. Neben eher populären als wissenschaftlichen Analysen im Stile Bastian Sicks findet sich zum Beispiel der Verein für Deutsche Sprache, der zur Reinhaltung des Deutschen im Internet einen Anglizismenindex pflegt und gerne deutsche Entsprechungen für Anglizismen anbietet. Worin der Vorteil liegt, zum Beispiel »backstage« mit »hinter der Bühne« zu umschreiben, mag jeder selber beurteilen. Fakt ist, dass das Deutsche wie nahezu jede andere Sprache zu allen Zeiten Fremdworte aus den verschiedensten Sprachen entlehnt hat. Dass unser gegenwärtiger Wortschatz bereits durchzogen von Fremdworten ist, ist uns nur selten bekannt oder bewusst. Hat es der deutschen Sprache geschadet? Nein, im Gegenteil. Es hat sie zu dem gemacht, was sie heute ist. Einen Schaden an der deutschen Sprache durch Anglizismen, oder gar ihr Verlust, ist für die nächsten Jahrhunderte kaum zu erwarten.