Zerstörung und Renovierung. Welchen architektur- und kulturgeschichtlichen Wert hat das Osnabrücker Schloss?
- 11.11.2011
- Das Osnabrücker Schloss gehört zu den bedeutendsten Bauleistungen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs. Angeregt durch italienische und süddeutsche Vorbilder, lassen der amtierende Bischof, Ernst-August von Braunschweig-Lüneburg, und seine Frau Sophie von der Pfalz ab 1669 die monumentale Vierflügelanlage auf der Grenze zwischen Alt- und Neustadt errichten. Trotz Zerstörungen, Erneuerungen und Umbauten blieb wenigstens im Äußeren der Zustand des 17. Jahrhunderts weitgehend erhalten, so dass wir hier ein authentisches, streckenweise sogar originales Denkmal vor Augen haben. Zeugnis für Repräsentation und öffentliche Inszenierung von regionaler Herrschaft, dokumentiert der Bau eine Facette gesellschaftlich-politischer Realität in Norddeutschland während der Frühen Neuzeit. Unter den Gegenständen, welche Vergangenheit sichtbar machen, kommt Architektur eine besondere Rolle zu. Als quasi begehbare Visitenkarten lassen sich an Gebäuden nicht allein technische Standards, handwerkliches Können, Modetrends oder ästhetische Vorlieben einer Epoche ablesen, es ist für Betrachter oder Besucher auch möglich, diese Epoche körperlich zu erfahren: Monumentalität, Räumlichkeit, der Umgang mit dem Detail, usw. Lebensgefühl der Vergangenheit wird wie vielleicht nirgends sonst physisch nachvollziehbar. Aber Architektur vermittelt noch mehr. Durch Struktur und Formensprache werden Ideen und Vorstellungen zum Ausdruck gebracht, die etwas verraten über den Geist einer Zeit. Das gilt, unabhängig von Gesellschafts- oder Regierungsformen, für die Pyramiden im alten Ägypten ebenso wie für die nach 1991 errichteten Bundesbauten in Berlin. Welche Wirkung alte oder neue Architektur auf das Bewusstsein oder den Geschmack einer Epoche haben, ist allerdings nur schwer nachweisbar. Je näher wir unserer eigenen Zeit kommen, desto vielfältiger und reicher ist die Überlieferung. Desto unsicherer scheinen aber auch die Bauherren und Architekten geworden zu sein. Wundert dies angesichts nie zuvor geahnter technischer Errungenschaften und eines Überangebots an Vorlagen und Materialien, die alles möglich zu machen scheinen? Kaum. Die Folge ist der Verlust eines überzeugenden Geschmacks. Wer sich in Osnabrück hiervon ein Bild machen will, dem sei ein Spaziergang durch die Wilhelmstraße, zwischen Saarplatz und Richard-Wagner-Straße, empfohlen. Die dort auf wenigen Metern erlebbaren Trends aus ungefähr 70 Jahren Wohnungsbau im sogenannten gehobenen Segment lassen erkennen, wie ein bis in die 1980er-Jahre noch existierender Konsens über zeitgemäßes Bauen zugunsten vermeintlicher Individualität aufgekündigt wurde. Diese lebt sich aus in teilweise skurrilen Gebilden schlecht proportionierter oder anmaßend auftretender pseudohistorischer und materialprunkender Konstruktion. Umweltverschmutzung durch Architektur. Wohlgemerkt: Nicht moderne Baustoffe oder moderne Formen sind das Problem, sondern der Verlust an handwerklichem Selbstbewusstsein, an Kultur und Ehrlichkeit.