Englisch, Spanisch, Mandarin. Ist Sprachbegabung nur ein Mythos?
- Christine Dimroth
- 11.11.2011
- Die meisten von uns kennen Menschen, die sich mit Leichtigkeit in einer Vielzahl verschiedener Sprachen ausdrücken, während andere sich deutlich schwerer tun. Sprachwissenschaftler versuchen herauszufinden, was Sprachbegabung ausmacht, und haben sogar Messinstrumente dafür erdacht. Ein bekannter Test enthält Aufgaben, bei denen man Bilder sieht und dazugehörige Wörter in einer unbekannten Sprache liest. Nach einer kurzen Übungsphase wird geprüft, wie viele Vokabeln man gelernt hat. Was solche Tests messen, ist stark auf die Schule zugeschnitten. Es geht um die Wahrscheinlichkeit, mit der jemand beim Fremdsprachenunterricht erfolgreich abschneidet. Das ist aber nur eine Art des Sprachenlernens unter vielen – der Sprachunterricht ist eine relativ neue Erfindung, und wir lernen dort meist nicht durch die Sprache selbst, sondern durch aufbereitetes Material, etwa Vokabellisten und Grammatikregeln. Die für uns prägendste Sprachlernerfahrung, der Erwerb unserer Muttersprache, findet unter ganz anderen Bedingungen statt. Daran, wie wir es als Kleinkinder geschafft haben, perfekt Deutsch (und/oder eine andere Erstsprache) zu lernen, erinnern wir uns nicht, aber geschriebene Wörter und Regeln hat man uns dabei sicher nicht gezeigt. Wohl gibt es Unterschiede, was den Zeitpunkt des ersten Wortes oder die Geschwindigkeit der Sprachentwicklung betrifft, aber es ist unbestritten so, dass jedes gesunde Kind seine Muttersprache(n) lernt, und zwar so gut, dass es sich von seiner sprachlichen Umgebung irgendwann nicht mehr abhebt. Ganz ohne Unterricht, und ohne dass dafür eine besondere Begabung notwendig wäre! Das menschliche Sprachlernvermögen ist darauf eingestellt, später im Leben auch weitere Sprachen durch den Kontakt mit ihren Sprechern zu lernen, etwa so wie es viele Migranten in Deutschland tun. Allerdings gibt es hier tatsächlich große Unterschiede im Lernerfolg. Sprachspezifische Voraussetzungen, etwa die Sensitivität für feine Lautunterschiede, können dabei eine Rolle spielen, aber auch Persönlichkeitszüge wie z. B. Extrovertiertheit und allgemeine kognitive Kapazitäten wie die Gedächtnisspanne. In natürlichen Lernsituationen variieren aber viele weitere Faktoren. So ist von Fall zu Fall unterschiedlich, wie viel Kontakt zu Sprechern der neuen Sprache jemand hat und wie wichtig das perfekte Beherrschen dieser Sprache in seinem Alltag ist. Weil es schwierig ist, diese Einflussfaktoren auseinander zu halten, führen wir hier ein Forschungsprojekt durch, in dem Kinder und Erwachsene 20 Stunden lang eine neue Sprache (Polnisch) lernen, indem einfach jemand mit ihnen spricht. Dabei zeichnen wir die komplette polnische Interaktion auf, damit wir nachher genau wissen, welche Wörter und grammatischen Strukturen vorgekommen sind. Außerdem überprüfen wir die sprachspezifischen Voraussetzungen, die Persönlichkeitszüge und die kognitiven Kapazitäten der Lernenden. So hoffen wir, mehr darüber herauszufinden, was unter relativ natürlichen Bedingungen einen guten Sprachlerner ausmacht.