Bildungschancen. Entscheidet die Herkunft über die Zukunft
- 23.11.2012
- Laut Bildungsmonitoring der Stadt Osnabrück haben aus dem Kreis der hiesigen Grundschulen zum Schuljahr 2009/10 an der Elisabethschule (Westerberg) fast 73 Prozent und der Rückertschule (Westerberg) fast 78 Prozent der Schüler auf ein Gymnasium gewechselt, während dies an der Heiligenwegschule (Schinkel) nur ca. 17 Prozent und der Rosenplatzschule (südliche Innenstadt) nur ca. 19 Prozent der Schüler waren. Auch wenn das Bildungswesen in Deutschland gerade in den letzten Jahren strukturell sehr viel durchlässiger geworden ist (z. B. »Offene Hochschule«) und mit der Schulwahl nach der Grundschule keine abschließende »Zuteilung von Lebenschancen« mehr verbunden ist, symbolisieren diese Übergangsquoten dennoch den Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungs- sowie Berufschancen. Daten, die durch solche und anhand anderer Kriterien wie »berufliche Stellung« oder »Bildungsabschlüsse« der Eltern und im Hinblick auf weitere Übergänge bzw. Schwellen der Bildungsbeteiligung (zum Beispiel Abitur) erhobenen wurden, verweisen auf gravierende sozial bedingte Ungleichheiten im deutschen Bildungswesen. So erreichen gemäß der 19. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes von jeweils 100 Kindern von Akademikern 81 den Übergang in die gymnasiale Oberstufe und 71 Kinder den Hochschulzugang, während es bei 100 Kindern von Nicht-Akademikern nur 45 in die gymnasiale Oberstufe und 24 Kinder bis zum Hochschulzugang schaffen. Auch die Studierquote von jungen Menschen mit Hochschulzugangsberechtigung aus nichtakademischen Herkunftsfamilien ist – entgegen dem allgemeinen Trend zum Studium – in den letzten Jahren eher gesunken. Dies wird durch aktuelle Forschungsergebnisse der Vodafone Stiftung Deutschland 2012 erneut eindrucksvoll bestätigt. Die Kritik an der ausgeprägten sozialen Selektion im deutschen Bildungswesen wird auch immer wieder durch internationale Vergleichsstudien wie die PISA-Studie (2009) oder den Eurostudienreport (2012) belegt. Sofern der ausgewiesene Zusammenhang wesentlich auf mangelnder Chancengleichheit und nicht tatsächlicher Leistungsfähigkeit basiert, widerspricht dies den Grundprinzipien einer modernen bürgerlich demokratischen Gesellschaft. Diese legt im Gegensatz zu traditionellen Gesellschaften nämlich Wert darauf, dass sich ihre Eliten ausschließlich durch besondere Leistungen im Bildungswesen, in der Wirtschaft, dem Gesundheitswesen, der Verwaltung usw. auszeichnen. Erbhöfe und ähnliche Gründe für Bildungskarrieren und gesellschaftlichen Aufstieg sind in diesem Zusammenhang daher unerwünscht. Sie verletzten nicht nur unser Gerechtigkeitsempfinden, sondern sind vor allem auch in allen gesellschaftlichen und ökonomischen Bereichen unproduktiv. Wohl niemand möchte sich von jemandem medizinisch behandeln lassen, der es nur deswegen zum Arzt gebracht hat, weil er aus einer Arztfamilie stammt.