Salafismus. Warum wurde er zu einer gewalttätigen Ideologie?
- 23.11.2012
- Zunächst einmal erscheint es in Bezug auf die Thematik hilfreich zu sein, drei Begriffe voneinander zu unterscheiden: Der erste Begriff »Salaf« bedeutet wörtlich »Wegbereiter«. In der islamischen Tradition bezeichnet man die Begründer der religiösen, moralischen und rechtlichen Schulen als »Salaf«. Die ersten drei Generationen der Salaf-Gelehrten wurden durch den Propheten Muhammad sehr hoch geachtet. Daher haben sie eine besondere Stellung inne. Der zweite Begriff »Salafiyya« bezieht sich auf eine Strömung, deren Anhänger ein beschränktes und engstirniges Verständnis von religiösen Texten haben. Personen wie der Begründer der wahhabitischen Schule, Mohammad B. Abdulvahhab, gehören zu dieser Strömung. Abu Hanifa, Begründer der hanafitischen Rechtsschule, ist hingegen als eine Person bekannt, die die Vernunft betont. Somit ist Abu Hanifa Salaf, aber kein Vetreter der Salafiyya-Strömung. Nach diesen Vorbemerkungen möchte ich nun zur eigentlichen Thematik, dem Salafismus, kommen. Der Salafismus ist ein modernes Phänomen, das sich von der klassisch-islamischen Tradition losgelöst hat. Der Begriff »Tradition« bezieht sich in diesem Kontext auf die Wurzeln und Generationen von Glaubens- und Denksystemen, außerdem die Werte- und Moralvorstellungen, Rechtsauffassungen, politische und gesellschaftliche Leitideen, die auf deren Grundlage entstanden sind, sowie das althergebrachte kulturelle Erbe. Die Angemessenheit einer Tradition zeichnet sich durch ihre Resistenz und ihr erfolgreiches Überdauern aus. Beispielsweise kann für die Osnabrücker, für Deutschland und Europa der Westfälische Frieden als eine bewährte Tradition gelten, die lehrt, wie ein harmonisches Miteinander zwischen andersdenkenden Menschen über Generationen hinweg gelingen kann. Ich möchte den Begriff der Tradition keinesfalls verherrlichen, aber betonen, dass sie nur dann lebendig ist, wenn sie eine eigenständige, natürliche Dynamik besitzt. Die Anhänger des Salafismus blenden Traditionen jedoch völlig aus. Solche Menschen leiden unter einem Identitätskonflikt, sind unerfahren, möchten sich beweisen und suchen nach Anerkennung. Der einfachste Weg der Anerkennung ist es, eine extreme und zugespitzte Haltung einzunehmen. Menschen wie die Salafisten sind nicht in der Lage, Traditionen zu erfassen. Deshalb bleiben sie in ihrem Denken und Glauben sehr oberflächlich. Wo die Traditionen scheinbar in weite Ferne gerückt sind, ist es für diese Menschen einfacher, ihr Gedankengut zu verbreiten und zu expandieren. Die heutzutage als extrem zu bezeichnenden Strömungen werden nur zur Besinnung kommen, wenn sie ihre Traditionen kennenlernen und sich ihnen gegenüber öffnen. Ansonsten werden ihre Handlungen nichts weiter sein als ein aggressives Sich-beweisen-Wollen. An dieser Stelle möchte ich all denjenigen meinen Dank aussprechen, die sich für die Gründung des Instituts für Islamische Theologie (IIT) in Osnabrück eingesetzt haben. Denn die an dieser Einrichtung tätigen Wissenschaftler werden zu einer notwendigen und essenziellen Traditionsbildung in Deutschland beitragen.