Pöbeleien, Gewalt. Wie verbreitet ist der Antisemitismus unter Jugendlichen?
- 23.11.2012
- Nur rund 25% der Jugendlichen im Alter von 14,5 Jahren (8. Jahrgang) sind wirklich frei von Antisemitismus! Dieses Ergebnis stützt sich auf das von der Universität Osnabrück koordinierte EU-Daphne-Forschungsprojekt »Formation of non-violent behaviour in school and leisure time among youths from violent families« (2009 – 2011), welches in Deutschland, Slowenien, Spanien und Österreich durchgeführt wurde. Weder das Erhebungsland noch die Geschlechtszugehörigkeit und auch nicht der Migrationsstatus oder der sozio-ökonomische Status waren geeignete Faktoren zur Vorhersage von Antisemitismus bei Jugendlichen. Kurzum bedeutet dies, dass rund drei Vierteln aller Jugendlichen in den vier untersuchten EU-Ländern, unbesehen soziodemographischer Faktoren, antisemitische Einstellungen zu Eigen sind. Dieses Ergebnis könnte, ja muss uns beunruhigen! Antisemitismus darf leider als ein dauerhafter, ja regelrecht überzeitlicher kultureller Code der Menschenfeindlichkeit bezeichnet werden. Im Anschluss an Hannah Arendt geht es beim Antisemitismus um die Kategorisierung von Menschen und die daraus folgende Hierarchisierung der Gesellschaft über die Benennung »des Anderen« als Juden, wie es Arendt beschrieb: Die einen werfen den Juden vor, Juden zu sein. Die anderen ignorieren sie, weil sie Juden sind und die Dritten loben sie für ihr Judesein. Alle drei denken aber daran und kategorisieren ihr Gegenüber primär nach dem Judesein in der Differenz bzw. in der Abweichung von einem allgemeingültigen Menschsein. Antisemitismus ist eine relevante Form von Menschenfeindlichkeit und entsteht nicht von selbst, sondern ist ein gesellschaftlich und kulturell vorhandenes Feindbild, das aktualisiert und auf andere übertragen wird. Eine gelingende erziehungswissenschaftlich motivierte Wertebildung beinhaltet als wesentliche Elemente den gesellschaftlichen Respekt und die politische und religiöse Toleranz gegenüber Angehörigen von gesellschaftlichen Gruppen, die sich kulturell oder religiös von der eigenen, allenfalls hegemonialen, Gruppe unterscheiden. Dieses Ziel der erziehungswissenschaftlichen Wertebildung erfolgt dabei nicht einzig als eine subjektive »politische Korrektheit« sondern entspricht, ja folgt unter anderem auch dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Antisemitismus kommt aus der Mitte der Gesellschaft und betrifft uns alle, weil auch wir ein Teil des Problems sind und sei es auch einzig dadurch, dass wir uns aus politischer Korrektheit vom menschfeindlichen Schatten des Antisemitismus fernhalten wollen, obwohl wir diesen Schatten mitbewirken. Diese Einsicht nach »innen« und nach »außen« zu tragen wäre ein erster aber sicherlich noch bei weitem kein hinreichender Schritt. Es wäre somit an der Zeit sich zu fragen, welche die gesellschaftlichen Bedingungen dafür sind, dass wir Antisemitismus dahingehend »naturalisiert« haben, dass er also zu einem integralenund weit verbreiteten Bestandteil, ja zu einem festen Baustein und negativen Bezugspunkt der Bedingungen des Aufwachsens Jugendlicher gehört und dies noch im 21. Jahrhundert! Aus diesem Grunde schließe ich diese Gedanken mit einem Zitat von Elie Wiesel, dem Friedennobelpreisträger, ab: »The opposite of love is not hate, it’s indifference.«