Pflegenotstand. Wie kann Lebensqualität in der zweite Lebenshälfte gewährleistet werden?
- 15.11.2013
- In den vergangenen vierzig Jahren ist die durchschnittliche Lebenserwartung um etwa sechs Jahre gestiegen. Die zusätzlich gewonnene Lebenszeit wird häufig in relativ gutem gesundheitlichem Zustand verbracht. Viele ältere Menschen verstehen sich auch nach Eintritt des Ruhestands als aktiver Teil der Gesellschaft. Ihr zivilgesellschaftliches Engagement steigt. Jedoch darf das Bild des Alters nicht geschönt werden. Dagegen spricht die Zunahme chronischer, mehrfacher, nicht heilbarer Erkrankungen, gerade der Demenz. Zum anderen bringt es die verringerte Geburtenrate und eine verstärkte Mobilität mit sich, dass immer weniger Angehörige (vor allem Kinder) die bei gesundheitlichen Einschränkungen erforderliche Pflege übernehmen können. Zudem hält die Zahl beruflich qualifizierter Pflegekräfte keineswegs der steigenden Zahl pflegebedürftiger Menschen stand. Die sich vergrößernde Lücke ist das klassische Szenario zukünftiger Pflegenotstände. Wie kann trotzdem Lebensqualität im Alter gewährleistet werden? Lebensqualität ist nicht gleichzusetzen mit Gesundheit, verstanden als Freiheit von Krankheit. Gesundheit ist vielmehr zu begreifen als eine persönliche geistig-seelische Kompetenz, mit vielfältigen Einschränkungen des Lebens konstruktiv umzugehen oder erforderliche Hilfe zu organisieren. Die Forschung zeigt, dass diese Kompetenzen auch bei schweren Einbußen noch vorhanden sein können. Die Empfehlung lautet also: bereits im mittleren, beruflich aktiven Lebensabschnitt anzubahnende Prävention der Verringerung geistig-seelischer Kompetenz. Zu sprechen ist aber auch über objektive Voraussetzungen eines als gut und sinnerfüllt empfundenen Lebens. Ältere Menschen äußern wiederkehrend als vorrangigen Wunsch, möglichst lange ein selbständiges Leben in den eigenen vier Wänden führen zu können. Aus genannten Gründen werden Angehörige als unterstützende Personen immer weniger zur Verfügung stehen. Aber auch professionelle Pflegedienste werden wegen immer größerer Personallücken die häusliche oder auch stationäre Versorgung nicht mehr ausreichend sichern können. Deshalb konzentrieren sich momentane Anstrengungen auf die Entwicklung altersgerechter assistierender Technologien. Dazu gehören Erinnerungssysteme bezüglich Alltagsaktivitäten, Medikamenteneinnahme, aber auch Systeme der Überwachung von Vitalfunktionen wie Blutdruck, Herzschlag, Körpertemperatur oder zur Detektion von Sturzrisiken oder tatsächlichen Stürzen. Nicht ausreichend geklärt sind dabei Fragen, wie Menschen an die Technologien herangeführt werden können, welche soziale Funktion sie leisten und in welchem Ausmaß sie überhaupt menschliche Zuwendung ersetzen können – Fragen, mit denen wir uns an der Universität Osnabrück in einem großen Forschungsverbund intensiv befassen. Zur Gewährleistung guter Lebensqualität im Alter gilt es, weitere Aspekte zu berücksichtigen: beispielsweise Möglichkeiten einer stärker gemeindenahen, die häusliche Umgebung einbeziehenden Pflege, die sich organisatorisch auf neue nachbarschaftliche Interessensund Nutzergemeinschaften wird stützen müssen. Auch werden dafür neue, flexible Arbeitszeit- und Familienmodelle zu schaffen sein. Politische und wissenschaftliche Fantasie ist gefragt.