Salafismus in Deutschland. Was bewegt Jugendliche, in den Krieg zu ziehen?
- 14.11.2014
- »Abu Usama al-Almani«, der eigentlich Philip Bergner hieß, fuhr vor wenigen Wochen mit einem Fahrzeug im Norden des Iraks in eine Peschmerga-Stellung und sprengte sich in die Luft. Bei dem Anschlag fanden mehr als 20 Menschen den Tod. Der Attentäter, der als junger Mann zum Islam konvertierte, stammte aus Dinslaken und hatte sich mit weiteren Gleichgesinnten vermutlich im Sommer 2013 nach Syrien abgesetzt. Bergner ist kein Einzelfall. Bereits wenige Wochen zuvor hatte sich der aus Frankfurt stammende »Abu Ayyub Al Maghrebi« vor laufenden ISIS-Kameras als Selbstmordattentäter in Szene gesetzt. Junge Deutsche stellen in den Kampftruppen des IS keine Seltenheit dar. Die Sicherheitsbehörden der Länder gehen mittlerweile (Stand: Oktober 2014) davon aus, dass mehr als 450 junge Menschen aus Deutschland, in der Regel Männer unter 27, als Kombattanten in neosalafistischen Organisationen in Syrien oder im Irak kämpfen. Was veranlasst junge Menschen, in einen fernen Krieg zu ziehen? Die Beantwortung dieser Frage ist nicht einfach. Das Phänomen ist relativ neu. Folglich gibt es noch keine wissenschaftlichen Studien, die belastungsfähige Aussagen zum Ablauf von Radikalisierungsprozessen zulassen. Die Informationen, die wir haben, stammen zumeist von Akteuren aus Schule, Jugendhilfe und Polizeikontexten. Es kann davon ausgegangen werden, dass in Radikalisierungsprozessen sehr viele Faktoren eine Rolle spielen. Die Gruppe der Ausgereisten ist keineswegs homogen. Unter Ihnen befinden sich Akademiker und Studierende. Auffällig ist auch der hohe Anteil an Konvertiten. Eine deutliche Mehrheit stammt jedoch eher aus bildungsbenachteiligten Milieus und ist überwiegend männlich. Viele weisen in mehrfacher Hinsicht prekäre Lebenslagen auf. Sie stehen folglich nicht auf der Sonnenseite des Lebens. Die Erfolgsgeschichte des Neosalafismus basiert in einem erheblichen Ausmaß auf Versprechungen und damit verbundenen »attraktiven« Angeboten. Junge Menschen erfahren in den Netzwerken scheinbar Aufwertung und Anerkennung, die Ihnen bisher versagt blieb. Sie fühlen sich als Teil einer Avantgarde, die Gottes Willen befolgt und damit kann die individuelle Suche nach Bedeutung erfolgreich abgeschlossen werden. Dadurch verlieren die lästigen oder enervierenden Anforderungen des Alltags an Bedeutung. Es gibt Kameradschaft und Fürsorglichkeit. Darüber hinaus bietet die Neosalafiyya ein vereinfachtes und schlüssiges System der Weltdeutung, das in allen Angelegenheiten Eindeutigkeit bietet. Bei manchen spielt sicherlich auch die Abenteuerlust eine Rolle. Schließlich bietet der Bürgerkrieg die Möglichkeit zur Selbstermächtigung und damit verbunden zur exzessiven Gewaltanwendung. Gegen all diese Phänomene hilft nur eine ganzheitliche Präventionsstrategie, die den Neosalafismus als ein gesamtgesellschaftliches Phänomen begreift, das von allen sozialraumrelevanten Akteuren in Schule, Jugendhilfe und Gemeinde mit ausreichenden Ressourcen, Geduld und langem Atem bearbeitet wird.