Knightsche Unsicherheit. Faule Ausrede für ein Finanzrisiko?
- 11.11.2016
- Der Begriff der Knightschen Unsicherheit geht auf den Ökonomen Frank Knight (1885-1975) zurück, der in seinem Hauptwerk Risk, Uncertainty and Profit (1921) die Unterscheidung zwischen Situationen bei Risiko und bei Unsicherheit beschrieb. Man kann den Begriff auf unterschiedliche Weise deuten. Zwei Deutungen will ich erläutern, bevor ich auf die Frage antworte. Die erste Deutung entspricht der ursprünglichen Definition von Knight. Danach kann man in einer Risikosituation Wahrscheinlichkeiten für Ereignisse angeben, bei Unsicherheit – vielleicht sollten wir sagen: Unberechenbarkeit – hingegen nicht. Zur Verdeutlichung diene folgendes Beispiel (nach Daniel Ellsberg): Vor Ihnen sind zwei Beutel A und B. Beide Beutel enthalten rote und gelbe Kugeln. Beutel A enthält genau 50 rote und 50 gelbe Kugeln. Beutel B enthält zwar auch 100 Kugeln, aber Sie wissen nicht, wie viele davon rot und wie viele gelb sind. Stellen Sie sich nun vor, Sie gewinnen einen Preis, wenn Sie eine rote Kugel ziehen. Aus welchem Beutel wollen Sie ziehen? Aus Beutel A oder aus Beutel B? Beutel A steht für die Risikosituation, in der Sie Ihre Gewinnchance kennen – sie beträgt 50 Prozent. Beutel B hingegen steht für die Knightsche Unsicherheit, denn Ihre Gewinnchance ist unbekannt – sie kann ebenfalls 50 Prozent betragen, aber ebenso gut auch höher oder niedriger sein. Forschungen haben gezeigt, dass Menschen sich mehrheitlich für Beutel A entscheiden. Sie meiden also tendenziell die Knightsche Unsicherheit. Die zweite Deutung versteht Knightsche Unsicherheit als Unvorhersagbarkeit, also als eine Situation, in der man nicht einmal weiß, was überhaupt passieren kann. In einer solchen Situation geschehen Dinge, die „niemand vorausahnen konnte“, wie es dann heißt. Ist nun Knightsche Unsicherheit eine faule Ausrede für ein Finanzrisiko? Meint man damit die zweite Deutung, also die Unvorhersagbarkeit, dann ist das tatsächlich eine faule Ausrede, denn wir Menschen haben in der Regel genug Fantasie, uns alles Mögliche auszumalen, und diejenigen, die Indikatoren für eine ungeahnte wirtschaftliche Entwicklung und damit verbundene Finanzrisiken sehen, können sich in einer vernetzten Welt durchaus bemerkbar machen. So war es zum Beispiel auch vor der Finanzkrise 2008. Nimmt man Knight aber beim Wort und bleibt bei der ersten Deutung, dann ist es keine Ausrede. Denn ein Finanzrisiko bezieht sich immer auf eine unsichere wirtschaftliche Zukunft, und für diese verfügen wir nie über ein Wahrscheinlichkeitsurteil, wie wir es für den Beutel A haben. Finanzrisiken gleichen eher dem Beutel B, und das ist ein Grund dafür, warum viele Marktteilnehmer in den Jahren nach der Finanzkrise vorsichtiger geworden sind: Sie nehmen Situationen stärker als Knightsche Unsicherheit wahr und meiden sie entsprechend. Nicht zuletzt hängt es aber auch von unserer Erfahrung und unserem Wissen ab, ob Finanzrisiken sich für uns wie Knightsche Unsicherheit darstellen.