Heureka. Wie entstehen Geistesblitze?
- 11.11.2016
- Wenn Sie jemandem die Lautfolge „Mähenäbteheuäbtemähennieheuäbtebeten“ vorsprechen, wird ihr Gegenüber wahrscheinlich annehmen, Sie reden Unsinn. Erklären Sie dann allerdings, dass die Vorsteher eines Klosters, die Äbte, keiner so profanen Beschäftigung wie dem „Mähen“ von getrocknetem Gras, dem „Heu“, nachgehen, sondern sich in der rituellen Zuwendung an eine Gottheit üben (also „beten“), wird es hoffentlich zu einem Geistesblitz beziehungsweise einem Aha- oder Heureka-Erlebnis kommen: „Mähen Äbte Heu? Äbte mähen nie Heu. Äbte beten!“ Nun generiert unser Gehirn eine plötzliche und eindeutige Einsicht in die Lösung des Verständnisproblems. Diese spontane Einsicht unterscheidet sich im subjektiven Erleben von anderen Ansätzen zur Lösung eines Problems, zum Beispiel dem langwierigen Nachgrübeln. Und tatsächlich legen aktuelle Untersuchungen aus der Hirnforschung nahe, dass sich dieser subjektiv erlebte Unterschied, der Geistesblitz, auch objektiv von alltäglichen Problemlösestrategien unterscheiden lässt. Die Hirnforschung gibt uns weiterhin Hinweise darauf, wie ein Heureka-Erlebnis entsteht. In den circa 100 Milliarden Nervenzellen, aus denen unser Gehirn besteht, ist das Wissen um bestimmte Fakten in spezifischen Netzwerken repräsentiert, die wiederum aus unzähligen Nervenzellen bestehen. Werden diese Netzwerke zu einem komplexeren Gesamtnetzwerk verknüpft, kann unvermittelt neues Wissen entstehen und es zum Aha-Erlebnis kommen. Solche Verknüpfungen können zum Beispiel dadurch zustande kommen, dass ein geeigneter Kontext aktiviert wird; in obigem „Mähen Äbte Heu …“ Beispiel wurde dieser Kontext durch die nachfolgende Erklärung des Klosterlebens aktiviert. Auch andere Hinweise sind denkbar, die es erlauben, vorhandenes und zum Teil inselhaftes Wissen neu zu strukturieren. So wird berichtet, dem Chemiker August Kekulé sei die ringförmige Strukturformel der chemischen Verbindung Benzol klar geworden, als er von einer Schlange träumte, die sich selbst in den Schwanz beißt. Sir Isaac Newton soll die Beobachtung eines vom Baum fallenden Apfels zur Einsicht in die Gravitationsgesetzte verholfen haben. Ob sich diese Anekdoten wirklich so zugetragen haben, ist fraglich, doch verdeutlichen sie exemplarisch, wie ein einzelner Hinweis einen Geistesblitz hervorrufen kann. Wie und ob wir neue neuronale Verknüpfungen willentlich erzeugen und damit einen Moment der Einsicht erzwingen können, ist nicht völlig geklärt. Wenn man von stark vereinfachten „Laborversionen“ von Aha-Erlebnissen absieht, handelt es sich bei Heureka-Momenten im alltäglicheren Verständnis per definitionem um seltene Ereignisse. Diese treten nicht unbedingt dann auf, wenn sich eine Versuchsperson im Labor eines Psychologen aufhält – und das macht die Untersuchung schwierig. Unumstritten ist jedoch, dass neue Verknüpfungen von Inhalten nur entstehen können, wenn es etwas zu verknüpfen gibt. Weder Kekulé noch Newton wären zu ihren Einsichten gelangt, hätten sie nicht über ein umfangreiches Vorwissen aus der Chemie beziehungsweise Physik verfügt. Oder um es profaner auszudrücken: Von nichts, kommt nichts und es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.