Embodiment. Wie hängen Körper und Psyche zusammen?
- 17.11.2017
- Stellen Sie sich die folgende Situation vor: Zwei Frauen stehen auf einer Aussichtsplattform. Eine der beiden leidet an Höhenangst; ihr Herz schlägt schneller und ihre Hände zittern, während die andere ungerührt bleibt. Nun betritt ein Herr die Szene. Welche der beiden Damen wird wohl eher glauben, sie habe gerade den Mann ihrer Träume getroffen? Sie vermuten wahrscheinlich richtigerweise, dass die korrekte Antwort „Kandidatin Eins“ lautet. Einen Erklärungsansatz für diese Begebenheit bietet die sogenannte Embodiment-Theorie. Um die sperrige deutsche Übersetzung „Verleiblichung“ zu umgehen, verwendet man üblicherweise diesen Anglizismus, und obwohl verschiedene Versionen der Embodiment- Theorie existieren, ist diesen doch eine Grundannahme gemein: Psychologische Prozesse beeinflussen nicht nur den Körper, sondern auch der Körper beeinflusst das psychische Befinden. In obigem Beispiel resultiert die Höhenangst also nicht nur in einer Zunahme der körperlichen Erregung, sondern die körperliche Erregung führt auch zu einer erhöhten Bereitschaft, sich zu verlieben. Obwohl die Theorie nicht unumstritten ist, spricht Vieles für den Ansatz. Schon aus evolutionärer Perspektive macht eine enge Verknüpfung von Körper und Psyche Sinn. Weder ein Maulwurf, der vor einem Fressfeind davonfliegen will, noch ein Spatz, der sich im Angesicht eines Feindes in die Erde einzugraben versucht, wird erfolgreich zum Genpool seiner Spezies beitragen. Auch empirische Befunde stützen die Theorie. Versuchspersonen, die über die erfolgreiche Bearbeitung einer Aufgabe informiert werden, sind stolzer auf ihren Erfolg, wenn sie während der Rückmeldung aufrecht sitzen. Soll man auf Bilder reagieren, die negative Inhalte darstellen, ist man schneller, wenn man einen Reaktionshebel von sich wegstößt im Gegensatz dazu, wenn man den Hebel zu sich heranziehen soll. Bei der Beurteilung des Humorgehaltes von Witzen, finden Versuchspersonen diese häufig lustiger, wenn sie sich einen Stift zwischen ihre Schneidezähne klemmen. In diesem Falle kontrahiert nämlich der Musculus Zygomaticus, der auch als Lachmuskel bekannt ist. Aktuelle Embodiment-Ansätze gehen sogar davon aus, dass ein „Bewusstsein“, also die erfahrbare Existenz psychischer Zustände, nur dann entstehen kann, wenn ein informationsverarbeitendes System über einen Körper verfügt. Aus anwendungsbezogener Perspektive läge nun nahe, zum Beispiel depressiven Patienten dadurch zu helfen, dass man sie ermuntert auf Embodiment-Techniken zurückzugreifen. Dies führt zwar unter Umständen zu einer Stimmungsaufhellung, die Effekte sind jedoch gering. Die Aufforderung an einen ernsthaft Erkrankten „Kopf hoch – Brust heraus!“ wäre in diesem Falle ein Embodiment im wahrsten Sinne der Worte „Ratschläge sind auch Schläge“. Die Betroffenen würden sich kaum umfänglich ernst genommen fühlen. Deshalb sei in solchen Fällen zu einer professionellen Behandlung durch einen psychologischen Psychotherapeuten geraten.