Zu Lasten der Eltern. Braucht es besondere Kinderrechte im Grundgesetz?
- 16.11.2018
- Die Ergänzung des Grundgesetzes um Grundrechte, die speziell für Kinder gelten, wäre erforderlich, soweit das Grundgesetz Kindern bislang keinen angemessenen Schutz gewährt, zum Beispiel, wenn das Grundgesetz nur Erwachsene schützte. Dies aber ist nicht der Fall, denn das Erreichen eines bestimmten Alters setzen Grundrechte ihrem Wortlaut nach überhaupt nicht voraus. Eine Ausnahme ist lediglich das Wahlrecht als „grundrechtsgleiches Recht“. So gelten etwa der Schutz der Menschenwürde, der körperlichen Unversehrtheit, der allgemeinen Handlungsfreiheit oder auch das Erbrecht für Kinder, ja teilweise sogar für Ungeborene. Daneben gibt es allerdings auch Grundrechte, die ein Verhalten schützen, das bestimmte kognitive Fähigkeiten voraussetzt. Hier ist zu klären, mit welchem Alter das Kind die geistige Reife und Einsichtsfähigkeit hat, um von diesen Grundrechten Gebrauch zu machen. Mit welchem Alter ein Kind selbstbestimmt seine Rechte wahrnehmen kann, lässt sich dabei aber nicht pauschal sagen. Für die Religionsfreiheit etwa hat sich die Auffassung herausgebildet, dass die Eltern bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres entscheiden dürfen, ob das Kind am Religionsunterricht teilnimmt. Von der Anwendung bestehender Grundrechte auf Kinder ist die Frage zu unterscheiden, ob das bestehende Schutzniveau seinem Inhalt nach Lücken aufweist. Ist von Kindergrundrechten die Rede, geht es häufig auch um Leistungs und Teilhaberechte – so etwa auch in der UNKinderrechtskonvention. Da das Grundgesetz vor allem Abwehrrechte gegenüber dem Staat regelt, sucht man – übrigens für Erwachsene wie Kinder gleichermaßen – Grundrechte, die Ansprüche auf die Sicherung des Lebensunterhalts, auf Gesundheitsvorsorge oder auf den Zugang zu Bildung regeln, aber vergeblich. Dies heißt natürlich nicht, dass derartige Ansprüche unserer Rechtsordnung fremd wären, sie sind aber in „einfachen“ Gesetzen, also solchen, die unterhalb des Grundgesetzes stehen, normiert. Zu nennen sind etwa die Sozialgesetzbücher, Landesschulgesetze oder auch – was zum Beispiel Unterhaltsansprüche gegenüber den Eltern angeht – das Zivilrecht. Überhaupt ergibt sich der seitens des Staates gewährte Schutz erst aus einem Zusammenspiel verschiedener Regelungen. So verpflichtet das Grundgesetz den Staat zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit auch von Kindern und zur Kontrolle der Wahrnehmung elterlicher Pflichten; das Zivilrecht schützt das Recht auf gewaltfreie Erziehung: Das Strafrecht stellt Misshandlungen von Schutzbefohlenen unter besondere Strafe; und das Kinder und Jugendhilferecht regelt Befugnisse der Jugendämter. Natürlich könnte man überlegen, insbesondere soziale Rechte explizit ins Grundgesetz aufzunehmen, die bislang von der Rechtsprechung aus Bestimmungen des Grundgesetzes entwickelt wurden. Eine Erhöhung des rechtlichen Schutzniveaus dürfte damit allerdings kaum verbunden sein. Ob die bloße Symbolwirkung der Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz es wert ist, die Verfassung zu ändern, ist daher in erster Linie eine politische und keine rechtliche Frage. Diese Entscheidung sollte wohl abgewogen sein: Die Anerkennung der Verfassung als Grund (und eben nicht Detail) Ordnung unseres Gemeinwesens lebt davon, dass sie nur behutsam geändert wird. Wohlgemeinte Änderungen zur Förderung schutzbedürftiger Gruppen (und hierzu zählen nicht nur Kinder) könnten so letztlich zu einer wachsenden Beliebigkeit der Verfassung führen.