Binnen-I und Gendersternchen. Droht uns eine Sprachzensur?
- 16.11.2018
- Ja, liebe Leser/*_Innen, gendern ist en vogue. Eine verbindliche Norm dazu gibt es nicht; zurzeit wird in den Medien noch experimentiert, mit Schrägstrich, Sternchen, Binnengroßschreibung oder Unterstrich. Ein wenig leserfreundlicher begegnen uns Doppelformen, verehrte Leserinnen und Leser, die ab einer bestimmten Häufung den Text jedoch auch stark aufblähen und dem Verständnis zuwider laufen können. Der Wunsch nach Gleichbehandlung sozialer Gruppen, der in der Sache ebenso richtig wie wichtig und als im Grundgesetz festgeschriebenes Individualrecht nicht verhandelbar ist, treibt im Sprachgebrauch mitunter seltsame Blüten. Aus einer gesellschaftspolitischen Notwendigkeit heraus werden tatsächlich die sprachlichen Mittel zum Teil arg strapaziert. Etwas schräg wird es spätestens dann, wenn grammatisch neutrale Formen für eindeutig männliche beziehungsweise weibliche Personen Verwendung finden, wie „die Studierende Maria Müller“ oder „die Lehrperson Herbert Schmidt“. Die deutsche Sprache ist allerdings keinesfalls als Leidtragende zu sehen, nicht als Opfer von daher gelaufenen Sprachpanschern, wie es mitunter behauptet wird. Stattdessen hat sie sich die Sache mit der Genderkorrektheit selbst eingebrockt. Indem die Sprache so tut, als seien grammatisches und biologisches Geschlecht dasselbe, und den Sprechern suggeriert, bei jeder maskulinen Form Frauen kategorisch auszuschließen, hat sie erst zum Gendern ermuntert, wie ich meine. Die Sprachgemeinschaft tut nämlich nichts anderes, als sich der Mittel zu bedienen, die die Sprache selbst hergibt. Das „Problem“ liegt dabei teilweise in unserer deutschen Grammatik, in der die Geschlechterunterscheidung formalisiert ist: Das grammatische Geschlecht, das mit dem biologischen nicht zu verwechseln ist, wird ebenso wie dieses vor allem durch den Artikel sichtbar: die Sonne, die Frau – der Mond, der Mann. Es liegt aber natürlich auch an der gewachsenen Sprache, die sich jahrhundertelang ungestört an den gesellschaftlichen Rollennormen anlehnte, die dazu führten, dass die männliche Form dort die „Normalform“ darstellt, wo Frauen lange nicht vorgesehen waren und umgekehrt: der Lehrer, der Pastor, der Metzger, versus die Zofe, die Hebamme, die Krankenschwester. Diese lang tradierten Verhältnisse spiegelt unsere Sprache noch immer wider und ruft jene auf den Plan, die im Sprachgebrauch die alten Muster zementiert sehen. Droht uns eine Sprachzensur? Nun ja, wenn sich Schreibende genötigt sehen, die Vermeidung genderneutraler Formen zu rechtfertigen, wie es zur Zeit in wissenschaftlichen Arbeiten immer häufiger der Fall ist, oder Verwaltungstexte in teuren und aufwendigen Verfahren gendergerecht umgeschrieben werden, kann man schon von Selbstzensur sprechen. Ich möchte die Frage abschließend noch einmal anders stellen, nämlich: Kann durch einen entsprechenden Sprachgebrauch Geschlechtergerechtigkeit erreicht werden? Hier besteht aus meiner Sicht eine Schieflage. Der Blick auf die sprachlichen Formen verstellt offenkundig die wahren Probleme, nämlich die immer noch virulente Ungleichbehandlung von Mann und Frau in unserer Gesellschaft. Was nützt es der Frau, wenn sie von ihrer Bank gendergerecht als „Kundin“ angesprochen wird, und dennoch am Monatsende weniger Gehalt für die gleiche Arbeit überwiesen bekommt als der Kollege, um nur ein Beispiel für Geschlechterungerechtigkeit zu nennen.